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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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soll­te man sonst le­ben?»
    Zwei Stun­den vor der
Ab­fahrt glau­ben wir drau­ßen Trap­peln, Stim­men und Tö­ne zu hö­ren.
    Gleich
dar­auf geht es auf der Stra­ße vier­stim­mig los:
    «Heil’ge
Nacht, o gie­ße du
    Him­mels­frie­den
in dies Herz ...»
    Wir
tre­ten ans Fens­ter. Auf der Stra­ße steht Bo­do Led­der­ho­ses Ver­ein. «Was ist denn
das?» fra­ge ich. «Mach Licht, Ge­org!»
    Im
mat­ten Schein, der vom Fens­ter auf die Stra­ße fällt, er­ken­nen wir Bo­do. «Es
gilt dir», sagt Ge­org. «Ein Ab­schieds­ständ­chen dei­nes Ver­eins. Ver­giß nicht,
daß du dort Mit­glied bist.»
    «Schenk
dem mü­den Pil­ger Ruh,
    hol­de
La­bung sei­nem Schmerz ...»
    tönt
es mäch­tig wei­ter.
    Fens­ter
öff­nen sich. «Ru­he!» schreit die al­te Ko­ners­mann.
    «Es
ist Mit­ter­nacht, ihr be­sof­fe­nes Ge­sin­del!»
    «Hell
schon er­glühn die Ster­ne,
    leuch­ten
in blau­er Fer­ne ...»
    Li­sa
er­scheint im Fens­ter und ver­neigt sich. Sie glaubt, das Ständ­chen gel­te ihr.
    Kurz
dar­auf ist die Po­li­zei da. «Ge­hen Sie aus­ein­an­der!» kom­man­diert ei­ne mar­ki­ge
Stim­me.
    Die
Po­li­zei hat sich mit der De­fla­ti­on ge­än­dert. Sie ist scharf und ener­gisch
ge­wor­den. Der al­te Preu­ßen­geist ist wie­der da.
    Je­der
Zi­vi­list ist ein ewi­ger Re­krut.
    «Nächt­li­che
Ru­he­stö­rung!» schnauzt der amu­si­sche Uni­form­trä­ger.
    «Ver­haf­tet
sie!» heult die Wit­we Ko­ners­mann.
    Bo­dos
Ver­ein be­steht aus zwan­zig hand­fes­ten Sän­gern. Da­ge­gen ste­hen zwei Po­li­zis­ten.
«Bo­do», ru­fe ich be­sorgt. «Rührt sie nicht an! Ver­tei­digt euch nicht! Ihr kommt
sonst für Jah­re ins Zucht­haus!»
    Bo­do
macht ei­ne be­ru­hi­gen­de Ges­te und singt mit weit of­fe­nem Mun­de:
    «Möch­te
mit dir so ger­ne ziehn – him­mel­wärts.»
    «Ru­he,
wir wol­len schla­fen!» schreit die Wit­we Ko­ners­mann.
    «He­da!»
ruft Li­sa den Po­li­zis­ten zu. «Laßt doch die Sän­ger in Ru­he! Warum seid ihr
nicht da, wo ge­stoh­len wird?»
    Die
Po­li­zis­ten sind ver­wirrt. Sie kom­man­die­ren noch ein paar­mal: «Al­les zur
Po­li­zei­sta­ti­on!» – aber nie­mand rührt sich. Bo­do be­ginnt die zwei­te Stro­phe.
Die Po­li­zis­ten tun schließ­lich, was sie kön­nen – sie ver­haf­ten je­der einen
Sän­ger. «Ver­tei­digt euch nicht!» ru­fe ich. «Es ist Wi­der­stand ge­gen die
Staats­ge­walt!»
    Die
Sän­ger leis­ten kei­nen Wi­der­stand. Sie las­sen sich ab­füh­ren.
    Der
Rest singt wei­ter, als wä­re nichts ge­sche­hen. Die Sta­ti­on ist nicht weit. Die
Po­li­zis­ten kom­men im Lauf­schritt wie­der und ver­haf­ten zwei wei­te­re Sän­ger. Die
an­dern sin­gen wei­ter; aber der ers­te Te­nor ist recht schwach ge­wor­den. Die
Po­li­zis­ten ver­haf­ten von rechts; beim drit­ten­mal wird Wil­ly ab­ge­führt, und
da­mit ist der ers­te Te­nor zum Schwei­gen ge­bracht. Wir rei­chen Bier­fla­schen aus
den Fens­tern. «Hal­te aus, Bo­do!» sa­ge ich.
    «Kei­ne
Angst! Bis zum letz­ten Mann!»
    Die
Po­li­zei kommt wie­der und ver­haf­tet im zwei­ten Te­nor. Wir ha­ben kein Bier mehr
und stif­ten un­sern Korn. Zehn Mi­nu­ten spä­ter sin­gen nur noch die Bäs­se. Sie
ste­hen da, oh­ne hin­zu­schau­en, wie ver­haf­tet wird. Ich ha­be ein­mal ge­le­sen, daß
Wal­roß­her­den so un­be­tei­ligt blei­ben, wäh­rend Jä­ger un­ter ih­nen mit Keu­len die
Nach­barn er­schla­gen – und ge­se­hen ha­be ich, daß gan­ze Völ­ker im Krie­ge das­sel­be
tun.
    Nach
ei­ner wei­te­ren Vier­tel­stun­de steht Bo­do Led­der­ho­se al­lein da. Die schwit­zen­den,
wü­ten­den Po­li­zis­ten kom­men zum letz­ten­mal an­ga­lop­piert. Sie neh­men Bo­do in die
Mit­te. Wir fol­gen ihm zur Sta­ti­on. Bo­do summt ein­sam wei­ter. «Beetho­ven», sagt
er kurz und summt wie­der, ei­ne ein­zel­ne mu­si­ka­li­sche Bie­ne.
    Aber
plötz­lich ist es, als ob Wind­har­fen ihn aus un­end­li­cher Fer­ne be­glei­te­ten. Wir
hor­chen auf. Es klingt wie ein Wun­der – aber En­gel schei­nen tat­säch­lich
mit­zu­sum­men, En­gel im ers­ten und zwei­ten Te­nor und in den bei­den Bäs­sen. Sie
um­schmei­cheln und um­gau­keln Bo­do und wer­den deut­li­cher, je wei­ter wir kom­men,
und

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