E.M. Remarque
aber warum liebt er nicht wenigstens Operetten
und leichte Musik? Wir könnten ihn ins Theater mitnehmen – immer noch billiger
als der verdammte Nachtklub!»
«Da
kommt er», sagt Georg. «Frag ihn.»
Wir
öffnen die Tür. Durch den frühen Abend segelt Riesenfeld die Treppenstufen
herauf. Der Zauber der Frühlingsdämmerung hat keinen Einfluß auf ihn gehabt,
das sehen wir sofort. Wir begrüßen ihn mit falscher Kameraderie. Riesenfeld
merkt es, schielt uns an und plumpst in einen Sessel. «Sparen Sie sich die
Flausen», brummt er in meine Richtung.
«Das
wollte ich sowieso», erwidere ich. «Es fällt mir nur schwer. Das, was Sie
Flausen nennen, heißt anderswo gute Manieren.»
Riesenfeld
grinst kurz und böse. «Mit guten Manieren kommt man heutzutage nicht weit ...»
«Womit
denn?» fragte ich, um ihn zum Reden zu bringen.
«Mit
gußeisernen Ellenbogen und einem Gummigewissen.»
«Aber
Herr Riesenfeld», sagt Georg begütigend. «Sie haben doch selbst die besten
Manieren der Welt! Nicht die besten im bürgerlichen Sinne vielleicht – aber
sicher sehr elegante ...»
«So?
Wenn Sie sich da nur nicht irren!» Riesenfeld ist trotz seiner Zurückweisung
sichtlich geschmeichelt.
«Er
hat die Manieren eines Räubers», werfe ich ein, genau wie Georg es erwartet.
Wir spielen dieses Spiel ohne vorherige Proben, als könnten wir es auswendig.
«Oder eher die eines Piraten. Leider hat er Erfolg damit.»
Riesenfeld
ist bei den Räubern etwas zusammengezuckt; der Schuß war zu nahe. Die Piraten
versöhnen ihn wieder. Genau das war beabsichtigt. Georg holt eine Flasche
Rothschen Korn aus dem Fach, in dem die Porzellanengel stehen, und schenkt ein.
«Worauf wollen wir trinken?» fragt er.
Gewöhnlich
trinkt man auf Gesundheit und gute Geschäfte. Das ist bei uns etwas schwierig.
Riesenfeld ist dafür zu fein besaitet; er behauptet, so etwas sei bei einem
Grabsteingeschäft nicht nur ein Paradoxon, sondern auch der Wunsch, daß
möglichst viele Menschen stürben. Ebenso könne man auf Cholera und Krieg
trinken. Wir überlassen seitdem ihm die Formulierungen.
Er
starrt uns schief an, das Glas in der Hand, redet aber nicht. Nach einer Weile
sagt er plötzlich in das Halbdunkel hinein: «Was ist eigentlich Zeit?»
Georg
setzt erstaunt sein Glas nieder. «Der Pfeffer des Lebens», erwidere ich
ungerührt. Mich kriegt der alte Halunke nicht so leicht mit seinen Tricks. Ich
bin nicht umsonst Mitglied des Dichterklubs Werdenbrück; wir sind große Fragen
gewöhnt.
Riesenfeld
beachtet mich nicht. «Was meinen Sie, Herr Kroll?» fragt er.
«Ich
bin ein einfacher Mensch», sagt Georg. «Prost!»
«Zeit»,
beharrt Riesenfeld, «Zeit, dieses Fließen ohne Halt – nicht unsere lausige
Zeit! Zeit, dieser langsame Tod.»
Dieses
Mal setze auch ich mein Glas nieder. «Ich glaube, wir machen besser Licht»,
sage ich. «Was haben Sie zu Abend gegessen, Herr Riesenfeld?»
«Halten
Sie die Klappe, wenn erwachsene Leute reden», erwidert Riesenfeld, und ich
merke, daß ich einen Augenblick nicht aufgepaßt habe. Er wollte uns nicht verblüffen
– er meint, was er sagt. Gott weiß, was ihm nachmittags passiert ist! Ich
möchte ihm gerne antworten, daß Zeit ein wichtiger Faktor sei auf dem Wechsel,
den er unterschreiben soll – aber ich ziehe vor, meinen Schnaps zu trinken.
«Ich
bin jetzt sechsundfünfzig», sagt Riesenfeld. «Aber ich erinnere mich noch der
Zeit, als ich zwanzig war, als wäre das erst ein paar Jahre her. Wo ist all das
dazwischen geblieben? Was ist los? Man wacht plötzlich auf und ist alt. Wie ist
das bei Ihnen, Herr Kroll?»
«Ähnlich»,
erwidert Georg friedlich. «Ich bin vierzig, aber ich fühle mich wie sechzig.
Bei mir war es der Krieg.»
Er
lügt, um Riesenfeld beizustehen. «Bei mir ist es anders», erkläre ich,
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