E.M. Remarque
noch mehr zu reizen. «Ich habe gestern irgendwo
hier den Namen gehört.»
«Sehen
Sie!» Riesenfeld dreht sich einen Augenblick zu uns herum. «Ich sagte ja,
Französin! Man sieht das gleich – dieses je ne sais pas quoi! Finden Sie nicht
auch, Herr Kroll?»
«Sie
sind hier der Kenner, Herr Riesenfeld.»
Das
Licht in Lisas Zimmer erlischt. Riesenfeld stürzt seinen Schnaps in die
zugeschnürte Kehle und preßt sein Gesicht wieder gegen das Fenster. Nach einer
Weile erscheint Lisa in der Haustüre und geht die Straße hinunter. Riesenfeld
sieht ihr nach. «Bezaubernder Gang! Sie trippelt nicht; sie macht lange
Schritte. Ein vollschlanker Panther! Frauen, die trippeln, sind Enttäuschungen.
Aber diese – für die garantiere ich!»
Ich
habe beim vollschlanken Panther rasch noch ein Glas getrunken. Georg ist
lautlos grinsend in seinen Stuhl gesunken. Wir haben es geschafft! Jetzt dreht
Riesenfeld sich um. Sein Gesicht schimmert wie ein bleicher Mond.
«Licht,
meine Herren! Worauf warten wir noch? Rein ins Leben!»
Wir
folgen ihm in die milde Nacht. Ich starre auf seinen Froschrücken. Wenn ich doch
auch so einfach aus meinen grauen Stunden auftauchen könnte wie dieser
Verwandlungskünstler, denke ich mit Neid.
Die Rote Mühle ist
bombenvoll. Wir bekommen nur noch einen Tisch, der sehr nahe beim Orchester
steht. Die Musik ist ohnehin schon laut, aber an unserm Tisch ist sie geradezu
betäubend. Wir schreien uns anfangs unsere Bemerkungen in die Ohren; danach
begnügen wir uns mit Zeichen wie ein Trio Taubstummer. Die Tanzfläche ist so
voll, daß die Leute sich kaum bewegen können. Aber Riesenfeld ficht das nicht
an. Er erspäht an der Bar eine Frau in weißer Seide und stürzt auf sie zu.
Stolz stößt er sie mit seinem Spitzbauch über die Tanzfläche. Sie ist einen
Kopf größer als er und starrt gelangweilt über ihn in den Raum, der mit Ballons
dekoriert ist. Unterhalb aber kocht Riesenfeld wie ein Vesuv. Sein Dämon hat
ihn gepackt. «Wie wär’ es, wenn wir ihm Schnaps in seinen Wein gössen, damit er
rascher voll wird?» sage ich zu Georg. «Der Knabe säuft ja wie ein gefleckter
Waldesel! Dies ist unsere fünfte Flasche! In zwei Stunden sind wir bankrott,
wenn das so weitergeht. Wir haben schon ein paar Hügelsteine versoffen, schätze
ich. Hoffentlich bringt er das weiße Gespenst nicht an den Tisch, so daß wir es
auch noch tränken müssen.»
Georg
schüttelt den Kopf. «Das ist eine Bardame. Sie muß an die Bar zurück.»
Riesenfeld
taucht wieder auf. Er ist rot und schwitzt.
«Was
ist das alles gegen den Zauber der Phantasie!» brüllt er uns durch den Lärm zu.
«Handfeste Wirklichkeit, gut! Aber wo bleibt die Poesie? Heute abend, das
Fenster vor dem dunklen Himmel – das war etwas zum Träumen! Eine solche Frau –
verstehen Sie, wie ich das meine?»
«Klar»,
schreit Georg zurück. «Das, was man nicht kriegt, scheint immer besser als das,
was man hat. Darin liegt die Romantik und die Idiotie des menschlichen Lebens.
Prost Riesenfeld!»
«Ich
meine es nicht so roh», heult Riesenfeld gegen den Foxtrott «Ach, wenn das der
Petrus wüßte» an. «Ich meine es zarter.»
«Ich
auch», brüllte Georg zurück.
«Ich
meine es noch zarter!»
«Gut,
so zart wie Sie wollen!»
Die
Musik holt zu einem kräftigen Crescendo aus. Die Tanzfläche ist eine bunte
Sardinenbüchse. Ich erstarre plötzlich. In die Pratzen eines angekleideten
Affen gepreßt, schiebt sich rechts in dem Tanzhaufen meine Freundin Erna heran.
Sie sieht mich nicht; aber ich erkenne ihre roten Haare schon von weitem. Ohne
Scham hängt sie an der Schulter eines typischen Schieberjünglings. Ich sitze
unbeweglich da – aber ich habe das Gefühl, eine Handgranate verschluckt zu
haben. Da tanzt sie, die Bestie, der zehn Gedichte meiner unveröffentlichten
Sammlung «Staub und Sterne»
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