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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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um
eben­falls mein Scherf­lein bei­zu­tra­gen. «Auch durch den Krieg. Ich war sieb­zehn,
als ich hin­ein­ging – jetzt bin ich fünf­und­zwan­zig, aber ich füh­le mich noch wie
sieb­zehn. Wie­sieb­zehn und sieb­zig. Mir ist mei­ne Ju­gend beim Kom­miß ge­stoh­len
wor­den.»
    «Bei
Ih­nen ist das nicht der Krieg», er­wi­dert Rie­sen­feld, der es an­schei­nend heu­te
auf mich ab­ge­se­hen hat, weil Zeit, der lang­sa­me Tod, mich noch nicht so
er­wi­scht hat wie ihn. «Sie sind nur ein­fach geis­tig zu­rück­ge­blie­ben. Im
Ge­gen­teil, der Krieg hat Sie so­gar früh­reif ge­macht; oh­ne ihn stän­den Sie heu­te
noch auf der Stu­fe ei­nes Zwölf­jäh­ri­gen.»
    «Dan­ke»,
sa­ge ich. «Welch ein Kom­pli­ment! Mit zwölf Jah­ren ist je­der Mensch ein Ge­nie.
Er ver­liert sei­ne Ori­gi­na­li­tät erst mit dem Ein­tre­ten der Ge­schlechts­rei­fe, von
der Sie Gra­nit-Ca­sa­no­va ja so über­trie­ben viel hal­ten. Ein ziem­lich ein­för­mi­ger
Er­satz für den Ver­lust der Frei­heit des Geis­tes!»
    Ge­org
schenkt neu ein. Wir se­hen, daß es ein schwe­rer Abend wird. Wir müs­sen
Rie­sen­feld aus den Schluch­ten der Welt­schwer­mut her­vor­ho­len, und kei­ner von uns
hat Lust, sich heu­te abend auf phi­lo­so­phi­sche Platt­hei­ten ein­zu­las­sen. Wir
möch­ten am liebs­ten un­ter ei­nem Kas­ta­ni­en­baum ru­hig, oh­ne zu re­den, ei­ne
Fla­sche Mo­sel­wein trin­ken, an­statt in der Ro­ten Müh­le mit Rie­sen­feld über sein
ver­lo­re­nes Man­nes­al­ter zu trau­ern. «Wenn Sie sich für die Rea­li­tät der Zeit
in­ter­es­sie­ren», sa­ge ich mit leich­ter Hoff­nung, «dann kann ich Sie in einen
Ver­ein ein­füh­ren, in dem Sie lau­ter Spe­zia­lis­ten da­für tref­fen wer­den – den
Dich­ter­klub un­se­rer ge­lieb­ten Hei­mat­stadt. Der Schrift­stel­ler Hans Hun­ger­mann
hat das Pro­blem in ei­nem noch un­ge­druck­ten Wer­ke auf et­wa sech­zig Ge­dich­te
aus­ge­walzt. Wir kön­nen gleich hin­ge­hen; je­den Sonn­tag­abend ist ei­ne Sit­zung mit
an­schlie­ßen­dem ge­müt­li­chem Teil.»
    «Sind
Da­men da­bei?»
    «Na­tür­lich
nicht. Dich­ten­de Frau­en sind das­sel­be wie rech­nen­de Pfer­de. Aus­ge­nom­men
na­tür­lich die Schü­le­rin­nen Sap­phos.»
    «Wor­aus
be­steht dann der ge­müt­li­che Teil?» fragt Rie­sen­feld lo­gisch.
    «Dar­aus,
daß über an­de­re Schrift­stel­ler ge­schimpft wird. Be­son­ders über er­folg­rei­che.»
    Rie­sen­feld
grunzt ver­ächt­lich. Ich will schon auf­ge­ben, da flammt ge­gen­über das Fens­ter im
Hau­se Wat­zek auf wie ein be­leuch­te­tes Bild in ei­nem fins­te­ren Mu­se­um. Wir se­hen
Li­sa hin­ter den Vor­hän­gen. Sie zieht sich ge­ra­de an und trägt nichts au­ßer
ei­nem Büs­ten­hal­ter und ei­nem Paar sehr kur­z­er wei­ßer Sei­den­ho­sen.
    Rie­sen­feld
stößt einen Pfiff durch die Na­se aus wie ein Mur­mel­tier. Sei­ne kos­mi­sche
Me­lan­cho­lie ist mit ei­nem Schla­ge ver­schwun­den. Ich er­he­be mich, um Licht zu
ma­chen. «Kein Licht!» faucht er. «Ha­ben Sie denn kei­nen Sinn für Poe­sie?»
    Er
schleicht ans Fens­ter. Li­sa be­ginnt, sich ein en­ges Kleid über den Kopf zu
zie­hen. Sie win­det sich wie ei­ne Schlan­ge. Rie­sen­feld schnauft laut. «Ei­ne
ver­füh­re­ri­sche Krea­tur! Don­ner­wet­ter, der Hin­tern! Ein Traum! Wer ist das?»
    «Su­san­na
im Ba­de», er­klä­re ich. Ich will ihm da­mit zart klar­ma­chen, daß wir im
Au­gen­blick die Rol­le der al­ten Bö­cke spie­len, die sie be­ob­ach­ten.
    «Un­sinn!»
Der Voy­eur mit dem Ein­stein­kom­plex läßt kein Au­ge von dem gol­de­nen Fens­ter.
«Wie sie heißt, mei­ne ich.»
    «Kei­ne
Ah­nung. Wir se­hen sie zum ers­ten­mal. Heu­te mit­tag wohn­te sie noch nicht
drü­ben.»
    «Tat­säch­lich?»
Li­sa hat das Kleid über­ge­zo­gen und streift es mit den Hän­den glatt. Ge­org
schenkt hin­ter dem Rücken Rie­sen­felds sich und mir ein. Wir kip­pen die Glä­ser
weg. «Ei­ne Frau von Ras­se», sagt Rie­sen­feld, der wei­ter am Fens­ter klebt. «Ei­ne
Da­me, das sieht man. Wahr­schein­lich Fran­zö­sin.»
    Li­sa
ist, so­viel wir wis­sen, Böh­min. «Es könn­te Ma­de­moi­sel­le de la Tour sein»,
er­wi­de­re ich, um Rie­sen­feld

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