E.M. Remarque
windschiefen Engel modellieren; aber viel weiter geht
seine Kunst nicht. Immerhin, zur Not könnten wir die Bildhauerarbeiten anderswo
bestellen.
«Und
sonst?» fragt Frau Niebuhr unerbittlich.
Ich
überlege, ob ich diesem unbarmherzigen Teufel etwas von dem Grabmal in Form
eines Sarkophags erzählen soll, dessen Deckel sich etwas verschoben hat und aus
dem eine skelettige Hand herausgreift – aber ich lasse es. Unsere Positionen
sind zu ungleich; sie ist der Käufer und ich bin der Verkäufer, sie kann mich
schikanieren, ich sie nicht – denn vielleicht kauft sie doch etwas.
«Das
wäre alles für den Augenblick.»
Frau
Niebuhr wartet noch einen Moment. «Wenn Sie weiter nichts haben, muß ich zu
Hollmann und Klotz gehen.»
Sie
sieht mich mit ihren Käferaugen an. Den Trauerschleier hat sie über den
schwarzen Hut emporgeschlagen. Sie erwartet, daß ich jetzt ein wildes Theater mache.
Ich tue es nicht. «Sie werden uns damit ein Vergnügen machen», erkläre ich
statt dessen kalt. «Es ist unser Prinzip, die Konkurrenz heranzuziehen, damit
man sieht, wie leistungsfähig unsere Firma ist. Bei Aufträgen mit so viel
Bildhauerarbeit kommt es natürlich sehr auf den Künstler an, sonst hat man
plötzlich, wie kürzlich bei der Arbeit eines unserer Konkurrenten, dessen Namen
ich verschweigen möchte, einen Engel mit zwei linken Füßen. Auch schielende
Mütter Gottes sind schon dagewesen und ein Christus mit elf Fingern. Als man es
merkte, war es dann zu spät.»
Frau
Niebuhr läßt den Schleier herunter wie einen Theatervorhang. «Ich werde schon
aufpassen!»
Ich
bin überzeugt, daß sie das tun wird. Sie ist ein gieriger Genießer ihrer Trauer
und schlürft sie in vollen Zügen. Es wird noch lange dauern, bis sie etwas
bestellt; denn solange sie sich nicht entscheidet, kann sie alle
Grabsteingeschäfte drangsalieren – nachher aber nur noch das eine, bei dem sie
bestellt hat. Sie ist jetzt gewissermaßen noch ein flotter Junggeselle der
Trauer – später ist sie wie ein verheirateter Mann, der treu sein muß.
Der Sargtischler Wilke
kommt aus seiner Werkstatt. In seinem Schnurrbart hängen Hobelspäne. Er hält
ein Kistchen appetitlicher Kieler Sprotten in der Hand und ißt sie schmatzend.
«Wie
denken Sie über das Leben?» frage ich ihn.
Er
hält an. «Morgens anders als abends, im Winter anders als im Sommer, vor dem
Essen anders als nachher, und in der Jugend wahrscheinlich anders als im
Alter.»
«Richtig.
Endlich eine vernünftige Antwort!»
«Na
schön, wenn Sie es wissen, weshalb fragen Sie denn noch?»
«Fragen
bildet. Außerdem frage ich morgens anders als abends, im Winter anders als im
Sommer, und vor dem Beischlaf anders als nachher.»
«Nach
dem Beischlaf», sagt Wilke. «Richtig, da ist immer alles anders! Das hatte ich
ganz vergessen.»
Ich
verbeuge mich vor ihm wie vor einem Abt. «Gratuliere zur Askese! Sie haben den
Stachel des Fleisches also schon überwunden! Wer auch soweit wäre!»
«Unsinn!
Ich bin nicht impotent. Aber die Weiber sind komisch, wenn man Sargtischler
ist. Grauen sich. Wollen nicht in die Werkstatt rein, wenn ein Sarg drinsteht.
Nicht einmal, wenn man Berliner Pfannkuchen und Portwein auftischt.»
«Wo
auftischt?» frage ich. «Auf dem unfertigen Sarg? Auf dem polierten doch sicher
nicht; Portwein macht Ringe.»
«Auf
der Fensterbank. Auf dem Sarg kann man sitzen. Dabei ist es doch noch gar kein
Sarg. Ein Sarg wird es erst, wenn ein Toter drin liegt. Bis dahin ist es nur
ein Stück Tischlerarbeit.»
«Stimmt.
Aber es ist schwer, das immer auseinanderzuhalten!»
«Es
kommt darauf an. Einmal, in Hamburg, hatte ich eine Dame, der war es egal. Es
machte ihr sogar Spaß. Sie war scharf drauf. Ich füllte den Sarg halbvoll mit
weichen weißen Hobelspänen aus Tanne, die riechen
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