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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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vorhergehen; der Künstler übertrifft sich selbst und macht wahrhaft überraschende Dinge. Das Kind steht von allem dem nichts. Es ist in fortwährender Unruhe, schwitzt und vermag kaum zu athmen. Es vertreibt sich die Zeit damit, sein Stückchen Brod in der Tasche mit vor Ungeduld zitternder Hand unaufhörlich zu betasten. Endlich kommt sein Kunststück an die Reihe, und mit einer gewissen Feierlichkeit kündigt es der Künstler dem Publicum an. Etwas verlegen tritt Emil hervor und zieht sein Brod heraus. …. Doch welch ein Wechsel der menschlichen Dinge! Die gestern so zahme Ente ist heute völlig wild geworden. Anstatt den Schnabel dem Brode zuzukehren, dreht sie ihm den Schwanz zu und entflieht. Sie weicht dem Brode und der Hand, die es darbietet, mit derselben Sorgfalt aus, mit der sie ihnen zuvor gefolgt war. Nach tausend vergeblichen und regelmäßig belachten Versuchen fängt das Kind sich zu beschweren an, klagt, man suche es zu täuschen, man habe der ersten Ente eine andere untergeschoben; und richtet an den Taschenspieler die Aufforderung, diese an sich zu locken.
    Ohne ein Wort zu erwidern, nimmt der Taschenspieler ein Stück Brod und hält es der Ente hin. Augenblicklich folgt die Ente dem Brode und schwimmt hinter der Hand her, die es zurückzieht. Jetzt nimmt das Kind dasselbe Stück Brod, aber weit entfernt zu einem besseren Resultate als zuvor zu gelangen, muß es vielmehr mit ansehen, wie die Ente seiner gleichsam spottet und rings um den Rand des Beckens flieht. Ganz verlegen entfernt es sich endlich und wagt sich dem Gelächter nicht länger auszusetzen.
    Jetzt nimmt der Taschenspieler das Stück Brod, welches das Kind mitgebracht hatte, und gelangt durch dasselbe zu dem nämlichen Resultate wie durch das seinige.Vor Aller Augen zieht er sogar das Eisen hervor; ein neues Gelächter auf unsere Kosten! Darauf zieht er sogar die Ente mit dem bloßen Brode eben so gut wie zuvor an. Dieselben Dienste leistet ihm ein in Aller Gegenwart von dritter Hand abgeschnittenes Stück Brod, ja selbst sein Handschuh und seine Fingerspitze. Endlich tritt er mitten in das Zimmer und kündigt in jenem feierlichen Tone, wie er dergleichen Leuten eigen zu sein pflegt, an, daß die Ente seiner Stimme eben so gut wie seinen Bewegungen gehorchen werde. Er redet sie an und die Ente ist folgsam; er befiehlt ihr nach rechts zu schwimmen, und sie schwimmt nach rechts, zurückzukommen, und sie kommt zurück, sich umzudrehen, und sie dreht sich um. Befehl und Ausführung der Bewegung sind eins. Der erhöhte Beifall erhöht nur unsere Beschämung. Unbemerkt schleichen wir uns fort und schließen uns in unser Zimmer ein, ohne aller Welt, wie wir uns doch vorgenommen hatten, unsern Erfolg auszuposaunen.
    Am nächsten Morgen klopft es an unsere Thür. Ich öffne, und der Taschenspieler steht vor mir. In bescheidenen Worten beschwert er sich über unser Benehmen. Was hätte er uns gethan, das uns hätte Veranlassung geben können, seine Kunststücke herabzusetzen und ihn dadurch möglicher Weise um seinen Broderwerb zu bringen? Welche große Merkwürdigkeit läge denn in der Kunst, eine Ente von Wachs anzuziehen, um diese Ehre auf Kosten des Unterhalts eines ehrlichen Mannes erkaufen zu wollen. »Fürwahr, meine Herren, hätte ich irgend etwas Anderes gelernt, um mir dadurch meinen Lebensunterhalt zu verdienen, so würde ich meinen Ruhm schwerlich in dieser Kunst suchen. Sie konnten sich doch leicht vorstellen, daß ein Mann, der sein ganzes Leben damit zugebracht hat, sich in diesem elenden Gewerbe zu üben, etwas mehr davon verstehen muß als Sie, die Sie sich verhältnißmäßig nur wenige Zeit damit beschäftigen. Wenn ich Ihnen meine Meisterstücke nicht sofort von Anfang an gezeigt habe, so liegt der Grund einfach darin, weil man sich nicht beeilen muß, unbesonnener Weise gleich Alles, was man weiß, aufzutischen. Stets trage ich Sorge, meinebesten Kunststücke für eine besondere Gelegenheit aufzusparen, und außer diesen hebe ich noch immer einige andere auf, um der vorwitzigen Jugend damit entgegentreten zu können. Uebrigens, meine Herren, will ich Sie mit dem Geheimnisse, welches Sie in so große Verlegenheit setzte, herzlich gern bekannt machen, muß Sie indeß bitten, es nicht zu meinem Nachtheile zu mißbrauchen und ein anderes Mal zurückhaltender zu sein.«
    Darauf zeigt er uns seine Maschine, und wir gewahren zu unserer äußersten Ueberraschung, daß sie nur aus einem starken und gut armirten Magnet besteht,

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