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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ihren Ruf geknüpft, und es ist nicht möglich, daß eine Frau, die sich gefallen ließe, für ehrlos gehalten zu werden, auch wirklich ein rechtschaffenes Weib sein kann. Ein Mann, der recht handelt, hängt nur von sich selbst ab und kann dem öffentlichen Urtheile trotzen. Eine Frau jedoch hat, auch wenn sie Recht thut, der ihr gestellten Aufgabe dann erst zur Hälfte Genüge gethan. An dem, was man von ihr denkt, darf ihr nicht weniger gelegen sein, als an dem, was sie in Wahrheit ist. Ihre Erziehung darf also in dieser Beziehung mit der unserigen durchaus nicht übereinstimmen. Die Meinung ist bei dem Manne das Grab der Tugend, bei der Frau deren Thron.
    Von der guten Constitution der Mütter hängt zunächst die der Kinder, sowie von der Sorgfalt der Frauen die erste Erziehung der Männer ab. Dann aber hängen weiter noch auch die Sitten, Leidenschaften, Neigungen und Freuden, ja sogar das Glück derselben von ihnen ab. Deshalb soll sich die ganze Erziehung der Frauen um die Männer drehen. Ihnen Gefallen einzuflößen und zu nützen, sich bei ihnen beliebt zu machen und in Ehren zu stehen, sie in der Jugend zu erziehen, und wenn sie herangewachsen sind, für sie zu sorgen, ihnen mit Trost und Rath beizustehen, das Leben zu verschönern und zu versüßen: das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, auf die man sie von Kindheit an aufmerksam machen soll. So lange man nicht diesen Grundsatz befolgt, entfernt man sich vom Ziele, und alle Vorschriften, welche man ihnen ertheilt, werden weder zu ihrem noch zu unserem Glücke dienen.
    Obgleich nun jede Frau von dem Wunsche beseelt ist, den Männern zu gefallen, und auch davon beseelt sein soll,so ist es doch ein großer Unterschied, ob sie darauf ausgeht, einem verdienstvollen, wahrhaft liebenswürdigen Manne, oder jenen weibischen Männern zu gefallen, die eben so wenig ihrem eigenen Geschlechte, als dem, welches sie nachzuahmen suchen, zur Zierde gereichen. Es ist weder in der Natur noch in der Vernunft begründet, daß die Frau an den Männern das Weibische liebe, und eben so wenig darf sie männliche Sitten annehmen, um sich bei den Männern beliebt zu machen.
    Sobald nun eine Frau den sittsamen und züchtigen Ton ihres Geschlechts ablegt und in das Wesen jener thörichten Männer verfällt, entsagt sie ihrem Berufe, statt ihm zu folgen, und begibt sich sogar selbst der Rechte, die sie sich anzueignen gedachte. »Aber,« so sagen manche Frauen, »wir würden den Männern ja gar nicht gefallen, wenn wir es nicht so machten!« Darin irren sie sich vollständig. Nur eine Närrin vermag einen Narren zu lieben. Der Wunsch, solche Leute zu fesseln, gibt den Geschmack derjenigen zu erkennen, welche sich ihnen hingeben. Gäbe es noch keine frivole Männer, so würden sie nicht ruhen und rasten, bis sie deren herangebildet hätten, denn unsere Leichtfertigkeit ist in weit höherem Maße das Werk der Frauen als umgekehrt. Die Frau, welche wahre Männer liebt und ihnen zu gefallen strebt, wählt zu ihrem Zwecke die passendsten Mittel. An und für sich ist sie ja gefallsüchtig, aber ihre Coquetterie ändert Form und Gegenstand mit ihren Anschauungen. Wenn man nun letztere mit den Absichten der Natur in Übereinstimmung zu bringen versteht, dann wird die Frau die ihrem Wesen entsprechende Erziehung erhalten.
    Die kleinen Mädchen lieben fast von ihrer Geburt an den Putz. Nicht zufrieden damit, daß sie hübsch sind, wollen sie dafür auch gelten. Man sieht es an ihrem ganzen Gebahren, daß diese Sorge sie schon früh beschäftigt, und kaum sind sie im Stande, zu verstehen, was man zu ihnen sagt, so vermag man sie dadurch zu leiten, daß man sie darauf aufmerksam macht, was die Welt von ihnen denken werde. Wollte man, wie man unüberlegterweise wirklich vorgeschlagen hat, dieses Erziehungsmittelauch auf Knaben anwenden, so würde dasselbe sicherlich bedeutend weniger Gewalt über sie gewinnen. Wenn sie nur ihren freien Willen und ihren Zeitvertreib haben, so bekümmern sie sich wenig darum, was die Leute von ihnen denken. Es gehört viel Zeit und Mühe dazu, um sie unter dasselbe Gesetz zu beugen.
    Von welcher Seite her die Mädchen auch diese erste Lehre empfangen mögen, so ist sie doch stets gut, denn da der Körper so zu sagen vor der Seele geboren wird, so muß die erste Pflege sich auf den Körper erstrecken. Zwar gilt dies für beide Geschlechter, aber der Gegenstand der Erziehung ist doch ein verschiedener. Bei dem einen Geschlechte soll die Kraft, bei dem

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