Emil oder Ueber die Erziehung
als die Mütter durch ihr Beispiel selbst! Man verhindert ja die Mütter nicht, sie nach eigenem Belieben zu erziehen oder erziehen zu lassen. Es ist doch nicht unsere Schuld, daß sie uns durch ihre Schönheit gefallen und durch ihr Liebäugeln verführen, daß die Künste, die sie von den Müttern erlernten, uns anziehen und angenehm berühren, daß wir sie gern geschmackvoll gekleidet sehen und sie ruhig die Mittel gebrauchen lassen, durch welche sie uns zu fesseln suchen! Nun wohl, man möge sie einmal als Männer erziehen; Letztere werden von Herzen ihre Beistimmung geben. Je mehr sie darauf ausgehen werden, ihnen zu gleichen, desto weniger werden sie die Herrschaft über dieselben gewinnen, und erst dann werden sie in Wahrheit die Herren sein.
Die beiden Geschlechtern gemeinsamen Fähigkeiten sind nicht gleichmäßig vertheilt, aber im Ganzen genommen findet eine Ausgleichung statt. Das Weib hat einen höheren Werth als Weib, einen geringeren, wenn es den Mann spielen will. Es ist überall im Vortheile, wo es seine Rechte geltend macht, im Nachtheil aber, wo es sich die unserigen anmaßen will. Diese allgemeine Wahrheit kann man nur durch Ausnahmen zu bestreiten suchen, wie es die galanten Vertheidiger des schönen Geschlechts beständig zu thun pflegen.
Wollte man bei den Frauen nur die männlichen Eigenschaften ausbilden, ihre eigenen dagegen verabsäumen, so würde man denselben offenbar nur Schaden zufügen. Das sehen die Listigen unter ihnen auch nur zu gut ein, als daß sie sich sollten hinter das Licht führen lassen. Sie suchen sich unsere Vorzüge anzueignen, geben aber darum ihre eigenen keineswegs auf. Eine Vereinigung der Vorzüge beider Geschlechter ist indeß nicht möglich, und daher kommt es, daß die Frauen weder die einen noch die anderenrecht zu verwerthen wissen. Indem sie weder ihre eigenen allseitig ausbilden, noch sich zu unserem Standpunkte vollständig erheben können, verlieren sie die Hälfte ihres Werths. Glaube mir, verständige Mutter, und suche deine Tochter nicht in einen ehrbaren Mann zu verwandeln, als wolltest du die Natur Lügen strafen; bilde vielmehr ein ehrbares Weib aus ihr, und halte dich versichert, daß es für beide Theile besser sein wird.
Hieraus folgt aber durchaus noch nicht, daß die Frauen in Unwissenheit erzogen und lediglich auf ihre Thätigkeit in der Wirthschaft beschränkt werden sollen. Welcher Mann wird seine Frau zur Magd erniedrigen wollen? Würde er sich dann nicht an ihrer Seite des größten gesellschaftlichen Reizes berauben? Er kann doch unmöglich, nur um sie besser beherrschen zu können, sie zu verhindern suchen, ihr Gemüth und ihren Verstand auszubilden! Er wird doch sicherlich kein willenloses Geschöpf aus ihr machen wollen! Im Gegentheil, da die Natur der Frau einen so anziehenden und gewandten Geist verliehen hat, so soll sie selbstständig denken, urtheilen, lieben, sich Kenntnisse erwerben und ihren Geist eben so gut pflegen wie ihren Körper. Diese Waffen hat ihr die Natur als Ersatz für die ihr fehlende Stärke verliehen, um so die unserige nach ihrem Willen lenken zu können. Sie soll viel lernen, allein nur das, was ihr zu wissen dienlich ist.
Ob ich nun mein Augenmerk auf die besondere Bestimmung des schönen Geschlechts lenke, oder ob ich seine Neigungen berücksichtige, oder ob ich mir seine Pflichten vorhalte, so trägt doch Alles gleichmäßig dazu bei, mich auf die für dasselbe geeignete Erziehung hinzuweisen. Frau und Mann sind für einander bestimmt, aber ihre gegenseitige Abhängigkeit ist keineswegs gleich. Der Mann hängt von der Frau in Folge seiner Begierden ab, die Frau aber vom Manne nicht allein hierin, sondern auch in ihren Bedürfnissen. Wir könnten weit eher ohne die Frauen, als sie ohne uns bestehen. Ihre Lebensbedürfnisse und Lebensstellung verdanken sie uns allein. Wir müssen sie ihnen gewähren, müssen sie ihnen gewähren wollen, müssen sie derselben würdig erachten. Sie sind aber auch vonunserem Urtheile abhängig, von unserer Schätzung ihres Werthes, ihrer Reize und ihrer Tugenden. Ja sogar nach dem Gesetze der Natur hängen sie sowol für sich als für ihre Kinder von dem Urtheile der Männer ab. Es genügt nicht, daß sie achtungswürdig sind, sie müssen auch geachtet werden; es genügt für sie nicht, schön zu sein, sie müssen auch Gefallen erregen; es genügt für sie nicht, weise zu sein, sie müssen dafür auch gelten. Ihre Ehre ist nicht allein an ihr Betragen, sondern hauptsächlich an
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