Emil oder Ueber die Erziehung
liebenswürdigen Kindern erziehen.
Es taugt deshalb für einen gebildeten Mann nicht, sich ein ungebildetes Weib zu nehmen und folglich auch nicht, in einen Stand hineinzuheirathen, in dem man keine Bildung haben kann. Allein hundertmal lieber würde ich ein Mädchen von einfacher und gewöhnlicher Erziehung nehmen, als eine Gelehrte und einen Schöngeist, die in meinem Hause einen literarischen Gerichtshof errichten und sich zur Präsidentin desselben aufwerfen würde. Ein weiblicher Schöngeist ist die Geißel ihres Gatten, ihrer Kinder, ihrer Freunde, ihrer Diener, ja aller Welt. Bei dem hohen Fluge, zu dem sich ihr genialer Geist erhebt, erscheinen ihr die Pflichten, die sie als Weib zu verrichten hat, verächtlich, und sie läßt es deshalb ihr Erstes sein, nach Art des Fräuleins von Lenclos den Mann zu spielen. Außerhalb ihres Hauses benimmt sie sich stets lächerlich und wird deshalb mit vollem Rechte hart beurtheilt, weil Beides nicht ausbleiben kann, wenn man aus seinem Stande heraustritt und für den, welchen man einzunehmen sucht, nicht geschaffen ist. Alle diese Frauen von hohen Talenten können nur für Thoren ein Gegenstand der Bewunderung sein. Man kennt stets den Künstler oder Freund, der bei ihren Arbeiten die Feder oder den Pinsel führt, kennt den verschwiegenen Gelehrten, der ihnen ihre Orakelsprüche im Geheimen dictirt. All dieses charlatanartige Wesen ist einer rechtschaffenen Frau unwürdig. Schon die Geltendmachungwirklicher Talente würde erniedrigend für sie sein. Ihre Würde besteht darin, daß ihr Name nicht im Munde der Leute ist, ihr Ruhm liegt in der Achtung ihres Gatten, ihre Freuden haben im Glücke ihrer Familie ihre Quelle. Leser, ich berufe mich auf dich selbst; sei aufrichtig. Was flößt dir beim Eintritt in das Zimmer einer Frau eine bessere Meinung von ihr ein, was veranlaßt dich, ihr mit höherer Achtung zu nahen: wenn du sie mit den Arbeiten ihres Geschlechts, mit allerlei Wirthschaftssorgen beschäftigt und von den Kleidungsstücken ihrer Kinder umringt siehst, oder wenn du sie Verse drechselnd an ihrem Putztische antriffst, umgeben von allerlei Flugschriften und Blättchen, die mit allen möglichen Farben bemalt sind? Jedes überstudirte Mädchen erhält, wenn es einmal nur vernünftige Männer auf Erden geben wird, nie einen Mann.
Quaeris, cur nolim te ducere, Galla? Diserta es.
(Du fragst, Galla, weshalb ich dich nicht heirathen mag? Du bist gelehrt.)
Nach diesen Erwägungen verdient zunächst die äußere Gestalt Berücksichtigung. Sie ist das Erste, was das Auge auf sich lenkt, und das Letzte, was Beachtung verdient, obgleich sie immerhin in Anschlag zu bringen ist. Große Schönheit ist in der Ehe meiner Ansicht nach eher ein Uebelstand als wünschenswerth. Sie verliert in Folge des Besitzes gar schnell an Werth; nach Verlauf von sechs Wochen hat sie in den Augen des Besitzers keinen Reiz mehr, aber ihre Gefahren dauern, so lange sie besteht. Ist eine schöne Frau nicht zugleich ein Engel, so ist ihr Gatte der unglücklichste der Männer; und wäre sie wirklich ein Engel, wie wollte sie es verhindern, daß er nicht unaufhörlich von Feinden umlagert wäre? Wenn ein Uebermaß von Häßlichkeit nicht Widerwillen erregte, so würde ich sie einem Uebermaß von Schönheit vorziehen, denn in kurzer Zeit existirt weder die eine noch die andere für den Ehemann, da sich für ihn die Schönheit in eine Unannehmlichkeit, die Häßlichkeit aber in einen Vortheil verwandelt. Aber freilich ist eine Häßlichkeit, die abstoßendwirkt, ein großes Unglück; statt daß sich das Gefühl des Widerwillens, welches sie einflößt, vermindern sollte, steigert es sich fortwährend und geht endlich in Haß über. Eine solche Ehe wird zur Hölle; lieber todt als so verheiratet sein!
Strebet in Allem, selbst die Schönheit nicht ausgenommen, nach der Mittelstraße! Eine gefällige und einnehmende Gestalt, welche nicht Liebe, wol aber Zuneigung einflößt, verdient unstreitig den Vorzug. Sie ist ohne Nachtheil für den Mann, und der Vortheil kommt beiden Gatten zu Gute. Die Anmuth verliert nicht so schnell ihren Werth wie die Schönheit, sie besitzt Lebenskraft, sie erneuert sich unaufhörlich, und nach einer dreißigjährigen Ehe gefällt eine rechtschaffene Frau voller Anmuth ihrem Manne noch eben so wie am ersten Tage.
Das sind die Erwägungen, welche mich für die Wahl Sophiens bestimmt haben. Gleich Emil ein ächtes Kind der Natur, ist sie für ihn mehr als jede Andere
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