Emil oder Ueber die Erziehung
verstoßen, sich undankbar oder verächtlich zu zeigen. Die Frau, welche dann Autorität beansprucht, wirft sich zum Tyrannen ihres Gebieters auf, und der zum Sklaven erniedrigte Herr muß sich für das lächerlichste und elendeste aller Geschöpfe halten. So geht es den unglücklichen Günstlingen, welche die asiatischen Könige mit ihrer Verbindung beehren und peinigen, und die, wie das Gerücht geht, wenn sie bei ihren Frauen schlafen wollen, nur am Fußende das Bett besteigen dürfen.
Ich bin darauf gefaßt, daß viele Leser, die sich noch lebhaft erinnern, daß ich dem Weibe ein natürliches Talent, den Mann zu beherrschen, beigemessen habe, mich hier des Widerspruchs beschuldigen werden. Indeß befinden sie sich im Irrthume. Es liegt doch wol ein großer Unterschied zwischen der unbefugten Anmaßung der Herrschaft und der Leitung dessen, der befiehlt. Die Herrschaft der Frau ist eine Herrschaft der Sanftmuth, der Gewandtheit und Gefälligkeit. Ihre Befehle bestehen in ihren Liebkosungen, ihre Drohungen in ihren Thränen. Sie soll im Hause, wie ein Minister im Staate herrschen, indem sie sich das auftragen läßt, was sie zu thun gedenkt. In diesem Sinne kann es als eine ausgemachte Thatsache gelten, daß die besten Haushaltungen diejenigen sind, in welchen die Frau am meisten Autorität besitzt. Allein wenn sie die Stimme ihres Herrn nicht kennen will, wenn sie darauf ausgeht, sich seine Rechte gewaltsam anzueignen, und selbst zu befehlen gedenkt, so ist die Folge dieser Verkehrung der natürlichen Ordnung nur Elend, Aergerniß und Schande.
So bleibt denn einem Manne nur die Wahl zwischen seines Gleichen und den unter ihm Stehenden übrig, wiewol ich glaube, daß hinsichtlich der Letzteren noch eine gewisse Einschränkung gemacht werden muß, denn es ist schwierig, aus der Hefe des Volkes eine Gattin zu finden, die geeignet ist, das Glück eines rechtschaffenen Mannes zu begründen; nicht etwa deshalb, weil man in den niedrigeren Ständen einen lasterhafteren Lebenswandel als in den höheren führte, sondern weil in ihnen die Idee des Schönen und Sittsamen nicht so ausgebildet ist, und weil die Ungerechtigkeit der höheren Stände sogar ihre Laster den niedrigeren im Lichte des Rechten zeigt.
Von Natur ist der Mensch nicht zum Denken geneigt. Denken ist eine Kunst, die er wie alle übrige Künste, ja sogar noch schwieriger als diese erlernt. Ich kenne in Ansehung beider Geschlechter nur zwei wirklich von einander abweichende Classen, eine denkende und eine nicht denkende, und dieser Unterschied rührt fast einzig und allein von der Erziehung her. Ein Mann, der der ersten dieser beiden Classen angehört, darf unter keinen Umständen in die zweite hineinheirathen, denn der größte Reiz des geselligen Verkehrs fehlt ihm im Umgange mit seiner Frau, wenn seine Wahl so ausgefallen ist, daß er sich genöthigt sieht, allein zu denken. Leute, welche ihr ganzes Leben hindurch vollauf mit der Arbeit für das tägliche Brod beschäftigt sind, haben keinen anderen Gedanken als den an ihre Arbeit und ihren Vortheil, und ihr ganzer Geist scheint in ihren Armen aufgegangen zu sein. Die Unwissenheit schadet weder ihrer Rechtschaffenheit noch ihrer Sittlichkeit, sondern ist ihnen häufig sogar förderlich. Oft findet man sich durch Nachdenken über seine Pflichten mit denselben ab und setzt am Ende Redensarten an Stelle der Sache selbst. Das Gewissen ist der helldenkendste aller Philosophen. Man braucht nicht erst Cicero’s Abhandlung über die Pflichten zu kennen, um ein rechtschaffener Mensch zu sein, und die sittsamste Frau von der Welt weiß vielleicht am wenigsten, was Sittsamkeit ist. Indeß beruht es deshalb nicht weniger auf Wahrheit, daß allein ein gebildeter Geist den Umgang angenehm macht; und es läßt sich für einenFamilienvater, der sich in seiner Häuslichkeit am wohlsten fühlt, nichts Betrübenderes denken, als wenn er sich daheim auf sich selbst beschränkt sieht und sich Niemandem verständlich machen kann.
Wie soll außerdem eine Frau, die nicht an Denken gewöhnt ist, im Stande sein ihre Kinder zu erziehen? Wie soll sie erkennen, was ihnen frommt? Wie soll sie ihnen Liebe zu Tugenden einflößen, die sie selbst nicht kennt, Liebe zu Vorzügen, von denen sie keine Vorstellung hat? Sie wird keine andere Erziehungsmittel als Liebkosungen oder Drohungen anwenden können, wird sie entweder unverschämt oder furchtsam machen. Sie wird sie zu Zieraffen oder wilden Rangen, nie aber zu verständigen und
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