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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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uns die Witterung von Ausflügen ins Freie zurückhält, gehen wir, Emil und ich, zu einem Meister ans Arbeit. Wir arbeiten bei ihm durchaus nicht blos zum Scheine, mit der Miene von Leuten, die sich über den Handwerkerstand weit erhaben fühlen, sondern in vollem Ernste und als wirkliche Handwerker. Bei einem Besuche, den uns Sophiens Vater abstatten will, überrascht er uns einmal bei der Arbeit und unterläßt nicht, seiner Frau und seiner Tochter mit Verwunderung zu berichten, was er gesehen hat. »Ueberzeugt euch selbst,« fügt er hinzu, »und sucht diesen jungen Mann in seiner Werkstatt auf, dann werdet ihr sehen, ob er auf den Stand des Armen mit Verachtung blickt.« Man kann sich einen Begriff von der Freude machen, mit welcher Sophie diese Worte hört. Wiederholentlich wird der Wunsch zu erkennen gegeben, ihn bei der Arbeit zu überraschen. Man fragt mich unter dem Scheine der größten Unbefangenheit aus, und nachdem man einen unserer Arbeitstage in Erfahrung gebracht hat, nehmen Mutter und Tochter einen Wagen und kommen an diesem Tage nach der Stadt.
    Als sie in die Werkstatt eintreten, bemerkt Sophie am entgegengesetzten Ende einen jungen Mann in Hemdsärmeln, mit nachlässig aufgebundenem Haar, und so von seiner Arbeit in Anspruch genommen, daß er keinen Blick von derselben abwendet. Sie bleibt stehen und gibt ihrer Mutter einen Wink. Emil, den Meißel in der einen und den Schlägel in der andern Hand, hat so eben ein Zapfenloch vollendet; nun zersägt er eine Bohle und schraubt ein Stück derselben in den bei den Tischlern üblichen Klemmhaken, um es zu glätten. Weit davon entfernt, daß dieser Anblick Sophie lächerlich erscheinen sollte, rührt er sie vielmehr, erregt er ihre ganze Achtung. Weib, ehre dein Oberhaupt. Für dich arbeitet der Mann, dir verdient er das Brod, dich ernährt er: ehre den Mann!
    Während sie ihm aufmerksam zuschauen, werde ich ihrer plötzlich gewahr und zupfe Emil am Aermel. Er wendet sich um, erblickt sie, wirft sein Werkzeug bei Seite und eiltmit einem Freudenschrei auf sie zu. Nachdem er sich dem ersten Freudenrausche überlassen hat, bittet er sie Platz zu nehmen und macht sich von Neuem an die Arbeit. Allein Sophie vermag nicht sitzen zu bleiben. Sie erhebt sich lebhaft, geht in der Werkstätte umher, besichtigt die Werkzeuge, streicht mit der Hand über die Politur der Breter, hebt einige Hobelspäne vom Boden auf, sieht uns auf die Hände und meint dann, dies Handwerk könne ihr wegen seiner Reinlichkeit gefallen. Mit schelmischer Miene versucht sie sogar ihrem jungen Freunde seine Künste nachzumachen. Mit ihrer weißen und schwachen Hand stößt sie einen Hobel über das Bret hin. Ohne in das Holz zu greifen, gleitet er aber leicht über dasselbe fort. Mir ist’s, als sähe ich Amor in der Luft lachen und mit den Flügeln schlagen, als hörte ich ihn den Jubelruf ausstoßen: »Herkules ist gerächt!«
    Mittlerweile fragt die Mutter den Meister: »Mein Herr, wie viel zahlen sie jenen Gesellen?« – »Gnädige Frau,« erwidert er, »Jeder von ihnen erhält täglich zwanzig Sous nebst freier Kost. Wenn dieser junge Mann dort indeß Lust hätte, so könnte er noch einen größeren Verdienst haben, denn er ist der geschickteste Arbeiter in der ganzen Gegend.« – »Zwanzig Sous täglich und freie Kost!« versetzt die Mutter, während sie uns zärtlich anblickt. »So ist es, gnädige Frau,« entgegnet der Meister. Bei diesen Worten eilt sie auf Emil zu, umarmt ihn und drückt ihn unter Thränen an das Herz, ohne andere Worte zu finden als den mehrmals wiederholten Ausruf: »Mein Sohn, o mein Sohn!«
    Nachdem sie noch einige Zeit, ohne uns jedoch von unserer Arbeit abzuhalten, mit uns geplaudert haben, sagt die Mutter zur Tochter: »Laß uns jetzt aufbrechen, denn es wird spät und wir dürfen nicht auf uns warten lassen.« Hierauf tritt sie an Emil heran, klopft ihm sanft auf die Wange und sagt: »Wie ist es, lieber Geselle, wollen Sie uns nicht nach Hause begleiten?« Mit betrübtem Tone erwidert er jedoch: »Ich habe einen festen Vertrag abgeschlossen, fragen Sie deshalb den Meister.« Man fragt den Meister, ob er unserer Hilfe entbehren könne. Erentgegnet, daß es ihm unmöglich sei. »Ich bin,« sagt er, »mit dringender Arbeit überhäuft, die ich bis übermorgen unter allen Umständen abliefern muß. Da ich mich auf diese Herren verlassen habe, so habe ich andere Arbeiter, die sich mir selbst angeboten, abgewiesen. Wenn mir nun diese Herren ihre Hilfe

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