Emil oder Ueber die Erziehung
gegründet ist. Es ist nicht die Rede davon, seine Börse zu erschöpfen und Geld mit vollen Händen auszustreuen, ich habe noch nie gesehen, daß sich Liebe erkaufen ließe. Vor Geiz und Härte muß man sich hüten und das Elend, welches man zu lindern vermag, darf man nicht blos beklagen; aber vergeblich werdet ihr eure Kästen öffnen, denn öffnet ihr nicht zugleich auch euer Herz, so werden die Herzen Anderer euch immer verschlossen bleiben. Eure Zeit, eure Sorgen, eure Zuneigung, euch selbst müßt ihr geben, denn sonst wird man, was ihr auch immer thun möget, doch stets herausfühlen, daß an dem Geldgeschenke euer Herz keinen Antheil hat. Es gibt Beweise von Theilnahme und Wohlwollen, die eine größere Wirkung hervorbringen und in der That mehr Nutzen stiften als alle Geschenke. Wie viele Unglückliche, wie viele Kranke bedürfen weit eher Trost als Almosen! Wie viele Unterdrückte gibt es, denen mit einem wirksamen Schütze mehr gedient ist als mit Geld! Versöhnet Alle, die in Unfrieden leben; beugt Processen vor; haltet die Kinder zur Pflicht, die Väter zur Nachsicht an; begünstigt glückliche Heirathen; wehret den Verfolgungen, bedienet euch des Ansehens, in welchem die Eltern eures Zöglings stehen, überall zu Gunsten des Schwachen, welchem man Gerechtigkeit verweigert und den der Mächtige bedrückt. Erklärt euch laut für den Beschützer der Unglücklichen. Seid gerecht, menschlich, wohlthätig! Gebet nicht nur Almosen, sondern verrichtet auch Liebeswerke; die Werke der Barmherzigkeit lindern mehr Leiden als das Geld. Liebet die Anderen, und sie werden euch lieben, dienet ihnen, und sie werden euch dienen; tretet ihnen als Bruder entgegen und sie werden eure Kinder sein.
Das ist zugleich ein neuer Grund, aus dem ich Emil auf dem Lande zu erziehen gedenke, fern von dem Bedientenpack, den niedrigsten Creaturen nach ihren Herren; fern von jenen abscheulichen Sitten der Städter, deren gleißnerischerFirniß, mit dem man sie übertüncht, sie für die Kinder verführerisch und ansteckend macht, während auf der andern Seite die Laster der Bauern, die in ungeschminkter Nacktheit und Rohheit auftreten, eher geeignet sind abzustoßen als zu verführen, sobald nicht etwa ihre Nachahmung irgend einen besonderen Vortheil verschafft.
Auf dem Lande wird ein Erzieher in weit höherem Grade Herr der Gegenstände sein, welche er dem Kinde vorzeigen will; sein Ruf, seine Unterredungen, sein musterhaftes Beispiel werden ihm ein Ansehen verschaffen, das sie ihm in der Stadt nicht würden verleihen können. Da er auf Jedermanns Vortheil bedacht ist, so wird sich auch wiederum Jeder beeifern, sich ihm gefällig zu erweisen, nach seiner Achtung zu streben und sich dem Schüler gegenüber so zu zeigen, wie man nach dem Wunsche des Lehrers wirklich sein sollte; und selbst wenn man seine Fehler nicht ablegt, wird man sich doch vor jedem öffentlichen Aergerniß hüten, und das ist ja Alles, was wir zur Erreichung unseres Zweckes bedürfen.
Höret auf, Andere für eure eigenen Fehler verantwortlich zu machen; das Böse, welches die Kinder sehen, verdirbt sie weit weniger als das Böse, welches ihr selbst ihnen einimpft. Denn gerade ihr unvermeidlichen Sittenprediger, Moralisten und Pedanten flößt ihnen für eine Idee, die ihr für gut haltet, gleichzeitig zwanzig andere ein, die schädlich sind. Erfüllt von den Gedanken, die euren Kopf durchkreuzen, bemerkt ihr die Wirkung nicht, welche ihr in dem ihrigen hervorbringt. Denkt ihr, daß unter dem langen Strom von Worten, mit dem ihr sie unaufhörlich langweilt, nicht ein oder das andere mit unterläuft, das sie falsch auffassen? Denkt ihr, daß sie eure langathmigen Erklärungen nicht in ihrer Weise auslegen, und daß ihnen nichts darin aufstößt, woraus sie sich ein ihrer Fassungskraft entsprechendes System bilden können, das sie euch bei gegebener Gelegenheit entgegenstellen werden?
Höret einmal ein Jüngelchen, welches man so dressirt hat! Laßt es plaudern, Fragen stellen, alle seine Faseleien nach Belieben auskramen, und ihr werdet euch über die sonderbaren Verdrehungen wundern, welche eure Redenin seinem Hirn erfahren haben. Ein solcher Knabe verwechselt Alles, dreht Alles um, langweilt euch und kann euch bisweilen durch seine unvorhergesehenen Einwürfe wahrhaft zur Verzweiflung bringen. Er zwingt euch zu schweigen oder ihm Schweigen zu gebieten. Und was muß er dann wol über das Schweigen seitens eines Mannes denken, der sich ihm gegenüber nur immer
Weitere Kostenlose Bücher