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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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aufstelle, die ich für alle dergleichen Uebungen fordere. Keineswegs; aber ich theile sie als Beweis dafür mit, daß nichts geeigneter ist, Jemanden, der durch die Schatten der Nacht in Schreckengesetzt ist, wieder zu ermuthigen, als das fröhliche Lachen und die ruhige Unterhaltung einer Gesellschaft, die aus einem Nebenzimmer herüberklingen. Ich wünschte deshalb auch, daß man sich des Abends nicht mit seinem Zöglinge allein unterhielte, sondern gerade viel Kinder von heiterem Temperamente versammelte; daß man sie Anfangs nicht einzeln, sondern stets mehrere zusammen ausschickte, und den Versuch mit einem allein nicht eher anstellte, als bis man schon im Voraus völlig sicher wäre, daß es sich nicht allzu sehr fürchten werde.
    Ich kann mir nichts vorstellen, was so angenehm und zugleich so nützlich wäre, als solche Spiele, vorausgesetzt, daß man sie geschickt anzuordnen versteht. Ich würde in einem großen Saale aus Tischen, Sesseln, Stühlen, spanischen Wänden eine Art Labyrinth einrichten. In die Irrgänge desselben würde ich unter acht bis zehn leeren Schachteln eine andere, ihnen durchaus ähnliche hinstellen, die ganz mit Bonbons gefüllt wäre. Nun würde ich mit klaren, aber kurzen Worten genau die Stelle bezeichnen, an der sich die richtige Schachtel befände. Ich würde diese Auskunft in solcher Weise ertheilen, daß sie für Leute, welche aufmerksamer und weniger voreilig als Kinder [31] wären, vollkommen ausreichte. Nachdem ich darauf die kleinen Helden, welche auf die Eroberung der Schachtel ausziehen wollten, hätte loosen lassen, würde ich sie nach einander hineinschicken, bis die richtige Schachtel gefunden wäre, was ich ihnen nach ihrer geringeren oder größeren Geschicklichkeit zu erleichtern oder zu erschweren suchen würde.
    Stellt euch nun einen dieser kleinen Herkulesse vor, wie er mit einer Schachtel in der Hand voller Stolz auf seine Heldenthat ankommt. Die Schachtel wird auf den Tisch gestellt und feierlich geöffnet. Ich höre hier schon im Geistedas Gelächter und das spöttische Aufjauchzen der lustigen Schaar, wenn man anstatt des ersehnten Zuckerwerks, hübsch zierlich auf Moos oder Baumwolle gelegt, einen Maikäfer, eine Schnecke, ein Stück Kohle, eine Eichel, eine gelbe Rübe oder irgend einen ähnlichen Leckerbissen findet. Ein anderes Mal hängt man in einem frisch geweißten Zimmer dicht an der Wand irgend ein Spielzeug oder ein kleines Geräth auf, welches es zu holen gilt, ohne dabei die Wand zu berühren. Kaum ist der, welcher sich aufgemacht hat es zu holen, zurückgekehrt, so wird, wenn er die gestellte Bedingung auch nur im Geringsten übertreten hat, der weiß gefärbte Rand seiner Kopfbedeckung, seine Schuhspitze, sein Rockschooß, sein Aermel seine Ungeschicklichkeit verrathen. Doch genug und übergenug, um euch mit dem Geiste dieser Art Spiele vertraut zu machen. Wenn man euch erst Alles sagen muß, dann leset mich lieber nicht.
    Wie sehr wird nicht ein so erzogener Mensch des Nachts anderen Menschen überlegen sein! Da seine Füße gewöhnt sind, auch im Dunkeln fest und sicher aufzutreten, und seine Hände die nöthige Uebung besitzen, alle Gegenstände, die ihn umgeben, durch Tasten leicht zu erkennen, so werden sie ihn selbst in der dichtesten Finsterniß ohne Mühe leiten. Seine Phantasie, die noch von den nächtlichen Spielen seiner Jugend erfüllt ist, wird ihm schwerlich Schrecken erregende Gegenstände vorgaukeln. Meint er Gelächter zu vernehmen, so wird ihn dasselbe nicht an Poltergeister mahnen, sondern an seine alten Jugendgespielen; malt ihm seine Einbildungskraft eine Gesellschaft vor, so wird er sich nicht in einen Hexensabbath, sondern in das Zimmer seines Erziehers versetzt wähnen. Da die Nacht in ihm nur heitere Ideen wach ruft, so wird sie ihm niemals Grauen erregen; anstatt sie zu fürchten, wird er sie lieben. Handelt es sich um ein militärisches Unternehmen, so wird er, sei es nun allein oder mit seinem ganzen Corps, stets auf dem Posten sein. In Saul’s Lager wird er sich schleichen, es, ohne sich zu verirren, nach allen Seiten auskundschaften, wird, ohne Jemand zu erwecken, in des Königs Zelt dringen und zurückkehren, ohne bemerkt zu sein. Sollen Rhesus Rosse geraubt werden, so wendet euch dreist an ihn.Unter Leuten, die eine andere Erziehung erhalten haben, werdet ihr schwerlich einen Ulysses finden.
    Ich bin Zeuge gewesen, wie Leute die Kinder durch überraschende Angriffe gewöhnen wollten, des Nachts vor nichts zu

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