Emil
Mann aus Haifa fragte sie, diesmal auf Arabisch, ob sie verheiratet sei. Sie bejahte, und er darauf: Schade, wir haben einen Sohn, der an Chanukka dreißig wird, noch unverheiratet, ein Prachtkerl, und verstummte. Und sie wollte ihm sagen, dass sie schwanger gewesen sei und einen Sohn habe, der jetzt schon neun sein müsse, also in die dritte Klasse gehe, und dass sie manchmal daran denke, Lehrerin zu werden, jedes Jahr mit ihm eine Klasse aufzusteigen, und wenn schon nicht in ihrer Schule, würde sie ihn vielleicht unter Kindern aus einer anderen Schule erkennen, die nach dem Unterricht auf den Sportplatz Fußball spielen kämen, dachte sie. Doch sie hatte nicht einmal zehn Schuljahre absolviert, wie sollte sie da Lehrerin werden. Mit sechzehn war sie schon schwanger geworden, und ihr ganzes Leben hatte sich verändert. War von der Schule abgegangen, hatte nähen gelernt. Und dann hatte die Textilfabrik sie geschluckt.
Der jüngere Mann aus Haifa fragte sie: Wo geht’s da raus, und sie sagte, Man wird uns holen, und ein Mann in einem Safarianzug wie auf Elefantenjagd ging vorbei, und sie bat den Elefantenjäger, Begin auszurichten, dass man sie dort vergessen habe, und der Mann im Anzug blickte sie einen Augenblick an, als hätte die Sitzbank zu ihm gesprochen, und ging weiter, ohne sie im Geringsten zu beachten. Nach einer halben Stunde standen sie auf, machten sich auf die Suche nach einem Bus, der sie zum Busbahnhof bringen würde, von wo aus sie sich in alle Richtungen zerstreuen würden, der junge Mann aus Haifa nach Haifa, der Alte aus Haifa nach Haifa, [ ] nach Tel Aviv und der Mann aus Beer-Sheva nach Netanja, denn wenn er schon aus Beer-Sheva herausgekommen war, wollte er ein bisschen Zeit am Meeresstrand verbringen. Und dort würde er eine Touristin aus Frankreich treffen, die er einige Monate danach heiraten und mit der er viele Jahre in Arles wohnen würde, und eines Tages, bereits im Besitz der französischen Staatsbürgerschaft und Vater von vier Söhnen, die sicherlich die Namen Abraham, Isaak, Jakob und François tragen würden, würden sie gemeinsam nach Ägypten fahren und die Straße aufsuchen, in der er geboren wurde, und jemand würde ihn erkennen.
Während sie sich im Busbahnhof auf die verschiedenen Busse verteilten, fuhr gerade ein Bus mit Schülern ein, die man nach Jerusalem gebracht hatte, um zu Ehren des Präsidenten auf seiner Fahrt vom Knesset-Gebäude zur Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem ägyptische Fähnchen zu schwenken, und unter ihnen war auch Emil. Das ist die ganze Geschichte. Sehr nahe waren sie einander in jenem Busbahnhof, dreißig Meter vielleicht. Aber auch viele andere Kinder waren dort.
Emil – Lea
Wie viel Zeit hatten sie zusammen? Sechs Jahre weniger zwei Monate.
Als Emil gerade fünf geworden war, schrieb er eine Geschichte. Sie hatten überhaupt nicht gewusst, dass er schreiben konnte. Das heißt, er hatte da und dort einen Buchstaben geschrieben, vielleicht einzelne kurze Worte. Eines Tages brachte er seiner Mutter ein Blatt.
Es war einmal ein Haus. In dem Haus wohnte Uri. Uri hatte coole Socken
. Daneben hatte er mit einem lila Filzstift eine spiralförmige Form gezeichnet. Die Socken vielleicht, dachte sie. Lea stand da, das Blatt in der Hand. Immer wieder las sie die Worte. Ein hebräischer Satz. Und noch einer. Und noch einer. Emil sah, wie ihre Augen sich hin- und her bewegten. Sie fragte: Wer ist Uri?, und Emil sagte nach kurzer Überlegung, Ich weiß nicht. Und dann noch, als verwundere ihn die Frage: Der Junge aus der Geschichte, und fügte hinzu, Es gibt keinen solchen Jungen. Lea sagte, Beschreib das Haus. Und er sagte, Es ist genau wie das hier. Lea sagte, Und Uri? Und er sagte, Der ist mir total ähnlich. Und Lea sagte, Es war einmal, wann denn?, und er sagte, Heute, morgen. Und sie sagte, Was ist das, coole Socken? Da lachte er.
Lea klemmte die Geschichte zwischen zwei kleine Glasplatten und hängte sie im Schlafzimmer auf. Als Joel an jenem Abend von der Arbeit nach Hause gekommen war und seine Schuhe ausgezogen hatte, ging er ins Schlafzimmer, um sich ›ein Weilchen hinzulegen und zu lesen‹, und während er mit der einen Hand sein dünnes Kissen faltete, um seinem Nacken Halt zu geben, ruhte in der anderen der erste Teil von
Josef und seine Brüder
. Da sah er die Geschichte an der Wand. Komisch, dachte er, das hat doch vorher nicht da gehangen. Er begriff nicht, was er vor sich hatte. Als ob er die Sprache nicht verstünde. Von Josef und
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