Emilia Galotti
weiß sie, daß wir hier sind? Sollte sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen haben? -Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch! - Ist er beleidiget der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?
MARINELLI. Ah, mein Prinz, so bald Sie wieder Sie sind, bin ich mit ganzer Seele wieder der Ihrige! -Die Ankunft der Orsina ist mir ein Rät-sel, wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was wollen Sie tun?
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DER PRINZ. Sie durchaus nicht sprechen; mich entfernen -
MARINELLI. Wohl! und nur geschwind. Ich
will sie empfangen -
DER PRINZ. Aber bloß, um sie gehen zu hei-
ßen. -Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir haben andere Dinge hier zu tun -
MARINELLI. Nicht doch, Prinz! Diese andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, kömmt sicherlich von selbst. - Aber hör' ich sie nicht schon? - Eilen Sie, Prinz! - Da, (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz begibt) wenn Sie wollen, werden Sie uns hören können. -Ich fürchte, ich fürchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren.
Dritter Auftritt
(Die Gräfin Orsina. Marinelli)
ORSINA (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist das? - Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir lieber gar den Eintritt verweigert hätte? - Ich bin doch zu 96
Dosalo? Zu dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener entgegen stürzte?
wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten?
-Der Ort ist es; aber, aber! - Sieh' da, Marinelli! -
Recht gut, daß der Prinz Sie mitgenommen. -
Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, hätte ich nur mit ihm auszumachen. - Wo ist er?
MARINELLI. Der Prinz, meine gnädige Gräfin?
ORSINA. Wer sonst?
MARINELLI. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier? - Er wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.
ORSINA. Nicht? So hat er meinen Brief heute Morgen nicht erhalten?
MARINELLI. Ihren Brief? Doch ja; ich erinnere mich, daß er eines Briefes von Ihnen erwähnte.
ORSINA. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine Zusammenkunfthier auf Dosalo gebeten? - Es ist wahr, es hat ihm nicht beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei Antworts genug; und ich komme.
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MARINELLI. Ein sonderbarer Zufall!
ORSINA. Zufall? - Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut, als verabredet. Von meiner Seite, der Brief: von seiner, die Tat. - Wie er da steht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das Gehirnchen? und
worüber denn? MARINELLI. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals wieder vor die Augen zu kommen. ORSINA. Beßrer
Rat kömmt über Nacht. - Wo ist er? wo ist er? -
Was gilts, er ist in dem Zimmer, wo ich das Ge-quicke, das Gekreusche hörte? - Ich wollte herein, und der Schurke vom Bedienten trat vor.
MARINELLI. Meine liebste, beste Gräfin-
ORSINA. Es war ein weibliches Gekreusche.
Was gilts, Marinelli? - O sagen Sie mir doch, sagen Sie mir - wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin - Verdammt,über das Hofge-schmeiß!So viel Worte, so viel Lügen! - Nun was liegt daran, ob Sie mir es voraus sagen, oder nicht? Ich werd' es ja wohl sehen. (Will gehen) MARINELLI(der sie zurück hält). Wohin? ORSINA. Wo ich längst sein sollte. - Denken Sie, daß es schicklich ist, mit Ihnen hier in dem 98
Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
MARINELLI. Sie irren sich, gnädige Gräfin.
Der Prinz erwartet Sie nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen, - will Sie nicht sprechen.
ORSINA. Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier?
MARINELLI. Nicht auf Ihren Brief-
ORSINA. Den er ja erhalten, sagen Sie -
MARINELLI. Erhalten, aber nicht gelesen.
ORSINA (heftig). Nicht gelesen? - (Minder heftig) Nicht gelesen? - (Wehmütig, und eine Träne aus dem Auge wischend) Nicht einmal gelesen?
MARINELLI, Aus Zerstreuung, weiß ich. –
Nicht aus Verachtung.
ORSINA (stolz). Verachtung? - Wer denkt daran? -Wem brauchen Sie das zu sagen? - Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli! - Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch!
mich! -(Gelinder, bis zum Tone der Schwermut) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausge-macht. Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas
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