Emilia - Herzbeben
einem Geheimnis.«
Er holte Luft, als wollte er sofort darauf antworten. Doch es kam nichts. Wieder bewegten sich seine Augen rasch hin und her. Er versuchte die Bilder zurückzuholen. Doch sie waren fort. Für immer.
»Seine Erinnerungen wurden gelöscht«, sagte Kell zu Malina.
»Bist du sicher, dass wir nach einem Schüler suchen sollten?«, fragte Malina skeptisch, ließ aber nicht von den Augen der Mutter ab.
»Ich gebe zu«, sagte Kell jetzt und stand auf, »dass es verrückt klingt. Ein Kind, dass über so jemanden Bescheid weiß …«, er dachte kurz nach, während er sich neben seine Schwester stellte und die Mutter des Jungen ebenfalls ansah, »kann kein normales Kind sein. Es könnte mit einem solchen Geheimnis nicht umgehen, ohne zumindest einen gehörigen Dachschaden zu haben. Alsosuchen wir ein ungewöhnliches Kind. Kennen Sie ein solches Kind?«, fragte er die Frau dann. »Ein Kind, das aus dem Raster fällt? Auffällig, vielleicht ängstlich oder sehr schüchtern?«
Die Frau nickte und die beiden Geschwister sahen sie gebannt an. Doch auch sie schien nach einem Bild in ihrem Kopf zu suchen, das verschwunden war. Ihre Augen bewegten sich suchend hin und her und ihr Gesicht war vor Anstrengung und Verwirrung verzerrt.
»Nennen Sie mir den Namen«, verlangte Kell.
Auch sie formte jetzt mit ihren Lippen intuitiv ein »M«, kam jedoch nicht weiter. Kell sah seine Schwester von der Seite an und hob die Augenbrauen. »Wir haben es hier mit einem ausgewachsenen Profi zu tun.«
»Jemand hat ihnen allen die Erinnerungen gelöscht«, dachte Malina laut, während sie weiterhin die Frau ansah. »Die Erinnerungen an einen Schüler, der nicht mehr im Schulregister steht, auf keinem Foto zu finden ist und offiziell niemals auf diese Schule gegangen ist.« Dann sah sie ihren Bruder an.
»Und der vermutlich in den letzten Tagen die Stadt verlassen hat. Wer auch immer diesen Energieausbruch zu verantworten hat, muss gewusst haben, dass wir ihn spüren können. Er ist mit diesem Kind geflohen.«
Malina grinste jetzt wieder ihr unheilvolles Grinsen. »Die Stadtverwaltung. Gib mir eine Stunde. Dann hab ich ihn.«
»Eine halbe«, sagte Kell, ebenfalls grinsend. Daraufhin verließ Malina schnell wie ein flüchtiger Schatten den Raum. Auch Kell trat gemächlich aus dem Zimmer und grinste in sich hinein. Es war zwar nichts Neues, aber es amüsierte ihn immer wieder, dass sie oft besser Feinde aufspüren konnten, als Schatten. Auch diesen Auftrag würden sie wieder schnell abschließen können. Das Wesen, das sie jagten, bildete da keine Ausnahme, selbst wenn es das mächtigste Wesen war, mit dem sie es je zu tun gehabt hatten. Sie fanden einfach jeden . Ohne Ausnahme und egal, wie clever oder mächtig er war. Schließlich wurden sie nicht umsonst die besten Jäger des Teufels genannt. Und sie wurden auch nicht umsonst von ihm persönlich mit Reichtümern beschenkt. Ihnen hatte er es zu verdanken, dass er ohne Sorge leben konnte. Und siewürden ihm auch dieses Mal die Sorge von den Schultern nehmen. Die Ursache, die ihm seit Kurzem den Schlaf raubte, vernichten. Sie spürten diese unglaubliche Energie alle. Und sie hatten sie schon einmal gespürt. Vor 16 Jahren. Doch sie war jetzt viel stärker und viel größer, auch, wenn sie noch dieselbe, unverwechselbare Schwingung hatte. Kell freute sich schon maßlos darauf, das Wesen in Stücke zu reißen, das sie ausstrahlte. Das Wesen, das die Dreistigkeit besaß, sich mit der Kraft seines Herrn zu messen und die Feigheit, sich vor ihm zu verstecken. »Ich kriege dich«, flüsterte er wütend, während er durch die Gänge des Krankenhauses ging. »Wer auch immer du bist.«
6
Sie wusste nicht, was er ihnen erzählt hatte. Er musste Lügen über sie verbreitet haben. Anders konnte sie es sich nicht erklären, dass sie plötzlich behandelt wurde, wie ein Star. Vielleicht hatte er sie auch alle bezahlt. Das konnte nicht echt sein. Es konnte nicht sein. Sie hänselten sie nicht einmal wegen ihrer Augen! Sie sprachen sie zwar darauf an, aber mit einer hellen Begeisterung! Das war nicht normal. Es war einfach nicht normal!
»Das ist der Hammer! Ich habe so etwas noch nie gesehen!«, sagte der Junge, der Jan hieß.
Es war Pause und sie hatten ihre Stühle alle an Mias Tisch gerückt, um mit ihr zu reden. Sie fühlte sich unwohl. Sie war es zwar gewöhnt im Mittelpunkt zu stehen, aber doch nicht so. Nicht so! Sie starrten sie alle an. Mit glücklichen, begeisterten Gesichtern.
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