Emilia - Herzbeben
Luft, die in großen Schalen neben seinem Thron gestanden hatten. Überall waren Kerzen aufgestellt gewesen und hatten warm zwischen den tanzenden Frauen geflackert. Es war ein berauschender Moment für die Sinne gewesen. Die Gerüche, der Geschmack, die Wärme in dem Raum und das Bild des goldenen Saals, in dessen Marmorboden sich die Lichter spiegelten und in dem nackte Frauen tanzten, lachten und sich vergnügten. Es war das Paradies für einen menschlichen Körper gewesen. Ein sinnlicher Moment, um den ihn jeder beneidete. Selbst sein eigener Bruder. Dies war der Moment gewesen, in dem er sich manifestiert hatte. In einem gewaltigen, unterirdischen Beben. Kell hatte mit Malina mitten im Raum gestanden und zugesehen, wie sich die dunkle Energie, aus der er bestand, zusammengezogen und verdichtet hatte. Die Kerzen hatten dabei wild geflackert und der Boden war unter ihren Füßen gerissen. Es hatte sich angefühlt, als würde der Raum jeden Moment explodieren. Ein gewaltiger Druck hatte die goldenen Wände zerbeult und die Kristalle des Kronleuchters, der über ihnen von der Decke hing, zerspringen lassen. Und dann hatte plötzlich ein schwarzes Schattenwesen neben ihnen auf dem Boden gekniet, das immer mehr die Form und die Farbe eines Menschen annahm. Nur sein Haar und seine Augen waren schwarz geblieben. Der Rest von ihm glich einer Skulptur aus weißem Stein. Und er war so schön gewesen, dass sie alle vergessen hatten zu atmen. So unglaublich schön. Die Frauenwaren vor ihm auf die Knie gefallen und hatten seinen stählernen, großen Körper bewundert. Und ebenso waren Kell und Malina mit gesenkten Häuptern in die Knie gegangen. Nur Angor war stehen geblieben und hatte ihn mit Stolz und Bewunderung betrachtet. Sie waren wie zwei gegensätzliche Pole gewesen. Der eine golden wie die Sonne und der andere schwarz wie die Nacht. Doch beide von solch verführerischer Schönheit, dass ihnen nichts und niemand widerstehen konnte. Niemals.
»Er gab sich den Namen Recedere«, fuhr Kell lächelnd fort, »doch sein Bruder Angor nannte ihn nur Rece. Und so nannte ihn bald jeder. Rece, der Leibhaftige.«
Sie blickten sie mit erstaunten Gesichtern an. »Es gibt zwei?«, hauchte Emma gebannt.
»Es gab zwei«, sagte Malina auf einmal. »Recedere war anders. Er war mächtiger, stärker und größer als Angor, denn in ihm steckte der größere Teil ihrer Energie. Er war natürlich auch boshafter und weitaus zerstörerischer und tödlicher. Seine Aura zerstörte das Leben einer ganzen Stadt, wenn er nur in der Nähe war. Aber er lernte sie zu bändigen und zurückzuziehen. Das ermöglichte es ihm, all die menschlichen Freuden zu genießen, an denen sich Angor schon so lange erfreute. Aber ich denke«, Malina senkte auf einmal bedrückt den Kopf, »seine große Macht hat ihn auch dazu befähigt, intensiver zu fühlen . Denn er hat sich eines Tages in eine Menschenfrau verliebt.«
Wieder ging ein Raunen durch das Zimmer.
»Daraufhin wurde er wegen Verrats von seinem Bruder vernichtet. Jeder glaubte, dass es von da an nur noch Angor gab, denn er hatte die Energie seines Bruders absorbiert, als er ihn getötet hatte.« Malina stützte sich jetzt mit ihren Händen auf der Couchlehne ab und sah in die vollkommen gefesselten Gesichter der Teenager. »Aber offenbar hat ein Teil von Rece überlebt.«
Sie erstarrten alle wie Salzsäulen, rissen die Augen auf und sahen sie erschrocken an. »Wie bitte?«, sagte Mike. Die meisten von ihnen standen jetzt erschrocken von ihren Stühlen auf.
Malina und Kell sahen sie eindringlich an. »Die beiden, die gerade weggefahren sind«, begann Kell, »was wisst ihr über sie?«
Sie blieben alle stumm. Sie wussten nicht, ob sie diesenVampiren anvertrauen durften, was sie von Walt über Mia erfahren hatten. Was, wenn sie ihre Schwächen herausfinden wollten, um sie zu töten? Schließlich waren sie doch genau deswegen hierher gekommen. Sie waren hinter Mia her gewesen. Dass sie sie nicht getötet hatten, hatte nur an Ramon gelegen, der offenbar stärker war, als sie.
»Denkt ihr wirklich«, sagte Jona jetzt und trat mutig zu ihnen vor, »dass wir euch etwas über sie erzählen? Ihr seid hergekommen, um sie zu töten, oder nicht?«
Kell kam auf ihn zu, stellte sich gefährlich nahe vor ihn und nickte. »Wir sind geschickt worden, um eine Kraft zu zerstören, die dem mächtigsten Wesen dieser Welt Angst einjagt. Eine Kraft, die alles übertrifft, was wir je gespürt haben. Wir wussten nicht, dass
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