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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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und warf Schatten auf die Plüschbadematte am Waschbecken, und als sie in den Garten hinausblickte, sah sie bei den Coles jemanden auf der hinteren Veranda.
    Die Gestalt an der Schiebetür stand blass und reglos da. Zuerst dachte Emily, es sei eine Täuschung, und ihre Ängste würden aus der Dunkelheit einen Einbrecher heraufbeschwören. Doch plötzlich regte sich die Gestalt und hob das Gesicht zum Himmel, und Emily sah, dass es Marcia war, dass sie nackt war und ihre Haut das Mondlicht widerspiegelte.
    Emily hatte den Eindruck, als würde Marcia sich darin aalen. Die Szene hatte etwas Rituelles, Traumartiges, und Emily wagte es nicht, sich vom Fleck zu rühren. Vielleicht schlafwandelte Marcia, oder sie hatte sauniert. Bestimmt fror sie. Emily rechnete damit, dass Jim mit einem Bademantel herauskommen und sie wieder ins Haus führen würde, doch nach ein paar Minuten drehte sich Marcia um und schloss die Tür hinter sich.
    Emily wartete darauf, dass sie wiederauftauchte, füllte dann ihr Wasserglas auf und legte sich wieder ins Bett. Rufus schnaufte kurz und verstummte. Auf dem Radiowecker war es halb drei, und sie war jetzt hellwach. Überzeugt davon, dass es an der späten Uhrzeit und der seltsamen Szene lag, die sie gerade gesehen hatte, versuchte sie sich trotz ihrer ganzen Mutmaßungen zugleich ins Gedächtnis zu rufen, wann sie zum letzten Mal splitternackt im Freien gewesen war, und konnte sich nicht erinnern. Ihr fielen Strände und Teiche ein und, vor langer Zeit, Henrys Kanu in Chautauqua. Sie verspürte die Versuchung, sogleich nach unten zu gehen und sich im Evaskostüm hinten auf die Veranda zu stellen, um zu beweisen, dass sie es fertigbrachte, doch das war nicht dasselbe, und sie verwarf den Gedanken sofort als unsinnig. Niemand wollte dieses alte Wrack sehen, am wenigsten sie selbst, deshalb lag sie da und wartete auf den erlösenden Schlaf, lauschte Rufus’ keuchendem Atem und versuchte an etwas anderes zu denken als die im Dunkeln wie ein zweiter Mond leuchtende Marcia.
     
    Besser oder schlechter?
     
    Arlene hatte einen kleinen Unfall verursacht. Bloß ein Bagatellschaden, nichts Ernstes. Emily erfuhr es von Betty, die anrief, um zu fragen, ob sie am Mittwoch etwas mitbringen solle. Arlene hatte auf dem Parkplatz des Petco in Monroeville beim Ausparken jemanden gerammt und dabei ihr Rücklicht zertrümmert. «Wann war das?», fragte Emily. «Ich glaube, gestern.»
    «Und warum erfahre ich erst jetzt davon?»
    «Ich habe es selbst erst gerade erfahren. Es ist ihr bestimmt peinlich.»
    «Und was ist mit dem anderen Wagen?»
    «Nichts. Es war ein Pick-up. Angeblich begleicht ihre Versicherung den Schaden.»
    «Das wird trotzdem teuer. Und dann kommen noch die Zeit und der ganze Ärger hinzu. Ohne Rücklicht kann man nicht fahren. Ich sollte mal fragen, ob sie Hilfe braucht.»
    «Braucht sie bestimmt.»
    «Vielen Dank, dass Sie mich benachrichtigt haben», sagte Emily. «Bei ihrem Fahrstil kann ich nicht behaupten, dass ich überrascht bin. Sie sieht nicht gut.»
    «Stimmt.»
    «Das bereitet mir Sorgen.»
    «Mir auch», erwiderte Betty, und es freute Emily, dass Betty ihr zustimmte, als sei es die Bestätigung einer lange gehegten Überzeugung.
    «Ich rede mit ihr.»
    «Viel Glück», sagte Betty und legte auf.
    Im Gegensatz zu Betty versuchte Emily nicht, den Eindruck zu erwecken, sie rufe wegen etwas anderem an.
    «Was höre ich da von einem Unfall, den du verursacht hast?»
    «Ich wusste, ich hätte nichts sagen sollen», entgegnete Arlene.
    «Wann wolltest du es mir sagen?»
    «Ich finde nicht, dass es eine so große Sache ist.»
    «Ein Autounfall ist keine große Sache?»
    «Ich hab mit fünf Stundenkilometern jemanden auf einem Parkplatz gerammt. Das kann man wohl kaum als bezeichnen.»
    «Arlene, du siehst nicht gut.»
    «Nachts sehe ich nicht gut. Deshalb fahre ich nachts auch nicht.»
    «Wofür wir alle dankbar sind.»
    «Tagsüber sehe ich alles perfekt.»
    «Wann hast du deine Augen zum letzten Mal untersuchen lassen?»
    «Im November, da war alles in Ordnung.»
    «Das stimmt nicht, und das war letztes Jahr. Du musst sie untersuchen lassen.»
    «Nächste Woche hab ich meinen halbjährlichen Termin bei Dr. Laughlin.»
    «Wenn du willst, kann ich dich hinfahren.»
    «Danke, das ist nicht nötig.»
    «Es geht nicht nur um mich - Betty ist genauso besorgt.»
    «Wenn ich mich richtig erinnere, war Betty auch besorgt, als du wieder angefangen hast zu fahren. Ich auch, aber ich hab

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