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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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dir keine Vorschriften gemacht. Tut mir leid. Es ist nett von euch beiden, dass ihr euch Sorgen macht. Ich weiß das zu schätzen, Emily, wirklich. Aber - und du kannst mich gern korrigieren, falls ich mich irre - das ist der erste Unfall, in den ich in diesem Jahrhundert verwickelt war, und es war nicht allein meine Schuld. Ich weiß nicht, was Betty dir erzählt hat, aber der andere Fahrer hat genauso ausgeparkt wie ich, er hatte bloß eine größere Stoßstange. Ansonsten würden wir gar nicht über das Thema sprechen.»
    «Davon habe ich nichts gewusst», gestand Emily.
    «Ich bin ja nicht rausgefahren, ohne zu gucken, sondern hab mehrmals in beide Richtungen geschaut. Wir haben bloß gleichzeitig ausgeparkt. Wann kommt so was schon mal vor?»
    «Sehr selten.»
    «Es hatte nichts mit meinem Sehvermögen zu tun.»
    «Das du trotzdem überprüfen lässt.»
    «Weil mir klar ist, dass meine Augen nicht mehr so gut sind, wie sie sein könnten und ich mich darum kümmern muss. Wie alle in meinem Alter.»
    Nachdem Emily als Arlenes Beifahrerin immer wieder Angst ausgestanden hatte, überzeugten deren Worte sie nicht, aber es würde nichts bringen, darauf herumzureiten, und auch wenn sie sich nicht hatte durchsetzen können, hatte sie zumindest ihre Meinung zum Ausdruck gebracht.
    «Bist du sicher, dass ich dich nicht fahren soll?»
    «Ja.»
    «Ich würde es gerne tun.»
    «Das weiß ich.»
    Es würde Arlene recht geschehen, dachte Emily, wenn sie auf der Fahrt einen Unfall hätte - auf der Brücke, wo man nirgends abfahren konnte -, doch dann verscheuchte sie den boshaften Gedanken. Diese kleinen Wortgefechte brachten ihre schlimmsten Seiten zum Vorschein. Das Ärgerliche war, dass sie es eigentlich gut gemeint hatte - wie sie Betty später erklärte.
    Sie rechnete damit, die Ergebnisse von Arlenes Untersuchung nie zu erfahren, oder bloß in zensierter Form, doch am folgenden Mittwoch stand Arlene direkt nach dem Mittagessen plötzlich mit einer modisch rechteckigen Brille vor Emilys Tür. Sie führte sie Betty vor, drehte den Kopf in die eine und dann in die andere Richtung. Sie hätten recht, ihre Augen seien schlechter geworden. Die neue Brille mache einen gewaltigen Unterschied, besonders beim Fahren, und sie habe als Erstes vorbeikommen wollen, um sich für ihre Geduld zu bedanken. Das war eine Entschuldigung, und dennoch fühlte sich Emily nicht rehabilitiert. Sie fühlte sich eher zur Einsicht gebracht, als sei ihr Standpunkt die ganze Zeit falsch gewesen. Obwohl sie über Bettys Stielaugen angesichts der starken Gläser lachte, konnte sie nicht verstehen, warum sie sich trotz Arlenes guter Nachricht unwohl fühlte.
     
    Nutzloses Zeug
     
    Jedes Jahr im Mai rangierte Emily beim großen Frühjahrsputz alles Mögliche aus und spendete es für den Kirchenbasar. Im Lauf der Zeit hatte sie den Keller und die Garage immer wieder entrümpelt und sich wie ein siegreicher General über den so gewonnenen Platz gefreut. Die Tische in der Calvary Church waren in den Genuss einer Unmenge von Plunder gelangt, den sie nicht mehr gebrauchen und auch den Kindern nicht andrehen konnte: altes Geschirr, Weihnachtsbeleuchtung, Brettspiele, Überseekoffer, Kameras, Lampen und jede Menge Klappstühle. Natürlich gab es nostalgisch bedingte Ausnahmen - ihre Golfschläger, Henrys Stichsäge, Margarets Schreibmaschine -, doch je älter Emily wurde, desto leichter fiel es ihr, sich von den Symbolen ihres früheren Lebens zu trennen. Sie hatte es aufgegeben, Dinge aufzubewahren, nur weil sie die Hoffnung hegte, jemand würde sie genauso lieben wie sie.
    Sie verbrachte einen ganzen Vormittag in der Ecke hinter dem Heizkessel und wählte die augenfälligsten Sachen aus. Dieses Jahr befanden sich darunter eine rostige Kühlbox, die sie für Picknicks und Gartenpartys verwendet hatten, ein Box-Ventilator, der nicht in Kenneths Fenster gepasst hatte, und zwei beigefarbene Spieltische, die sie für ihren ehemaligen Bridge-Club gekauft hatte. Es war eine Schande, die Spieltische waren noch gut in Schuss, aber nein, sie mussten weg.
    So schwer es ihr fiel, Sachen wegzugeben, für die sie viel Geld bezahlt hatte, bei Geschenken war es noch schlimmer. Den Brotbackautomat würde sie noch ein Jahr behalten, obwohl sie nicht vorhatte, ihn zu benutzen, auch den Niedrigtemperaturgarer und die wie bei ihrer Mutter rot emaillierte Bratpfanne, die Margaret auf dem Flohmarkt entdeckt hatte. Niemand würde erfahren, dass Emily sie spendete, und doch fühlte

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