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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Erdgeschoss vor, und Emily ging nach oben. Rufus drehte sich auf seinem Bett im Kreis, als wollte er es aufschütteln, und rollte sich dann darauf zusammen. Oben roch es überall scharf nach Zitrone und Ammoniak. Betty hatte das Licht angelassen, als wollte sie Emily auffordern, ihre Arbeit zu begutachten. Das Wasser in den Toiletten war trüb. Im großen Bad stellte Emily die Schmerzmittel auf dem Regal über dem Waschbecken um und legte die Bürsten auf ihrer Frisierkommode anders zurecht, arrangierte alles wieder so, wie es ihr gefiel.
    Den Rest des Tages verbrachte sie in Henrys Arbeitszimmer, wo sie mit der Kreditkarte auf dem frisch gewischten Schreibtisch vor dem Computer saß und Weihnachtsgeschenke bestellte. Die Versandkosten waren unglaublich hoch, aber was blieb ihr zu diesem Zeitpunkt schon anderes übrig? Sie hakte ihre Listen ab, führte darüber Buch, wie viel sie für jedes Enkelkind ausgegeben hatte, und bemühte sich, gerecht zu sein, obwohl es ihr schwerfiel, da ihr für Ella und Sarah ungeheuer viel, für Sam und Justin jedoch kaum etwas einfiel. Videospiele würde sie ihnen nicht kaufen. Da gab es zu viel geistloses, abscheuliches Zeug. Wenn Arlene das tun wollte, war das ihre Angelegenheit, aber sie würde sich nicht daran beteiligen. Sie hatte gehofft, die beiden Jungen wären inzwischen darüber hinaus - meine Güte, schließlich gingen sie aufs College -, doch ihre Wunschzettel waren fast identisch: Assassin’s Creed, Call of Duty 4: Modern Warfare. Auch auf die Gefahr hin, damit ihren Ruf als altmodische Spießerin weiter zu festigen, kaufte sie ihnen Kleidungsstücke, die sie im Club tragen konnten.
    Die Post kam spät, und es war eine glitzernde Karte von Nicky Ouellette in Hilton Head dabei, von der Emily schon eine Ewigkeit nichts mehr gehört und die sie deshalb von ihrer Liste gestrichen hatte. Sie revanchierte sich sogleich und ließ Betty an ihrem Ärger teilhaben, während sie ein paar freudige Zeilen schrieb. Wie schön, von dir zu hören!
    «Wissen Sie, was ich nicht ausstehen kann?», fragte Betty. «Wenn kurz vor Weihnachten eine völlig unerwartete Karte kommt.»
    «Und man kann gar nichts tun.»
    «Ich hab mit dem Kartenschreiben nicht mal angefangen, da sind Sie mir weit voraus.»
    «Da sollten Sie aber langsam in Gang kommen.»
    «Ich weiß. Ich muss mich dieses Wochenende drum kümmern, genau wie um alles andere.»
    «Das ist eine anstrengende Jahreszeit», pflichtete Emily ihr bei.
    «Werden Sie dieses Jahr einen Weihnachtsbaum haben?»
    «Die Frage ist nicht ernst gemeint, oder? Wenn nicht, würden sie mir das ewig vorhalten. Ich lasse mir von ihnen beim Schmücken helfen. Das können wir alle zusammen machen.»
    «Gut, geben Sie ihnen ruhig was zu tun.»
    «Lachen Sie nicht.’Sie wissen ja, wer den Schmuck wieder abhängen muss - wir beide.»
    «Schon in Ordnung», erwiderte Betty. «Ich mag Weihnachtsbäume. Ohne Baum ist es kein richtiges Fest.»
    «Stimmt», sagte Emily. «Dieser Duft hat was Besonderes.»
    «Und die Kerzen bei Nacht.»
    Nur netter Smalltalk, und doch bedeutete ihr das unglaublich viel. Am liebsten wäre sie noch geblieben und hätte weitergeplaudert, doch Betty war mit dem Esszimmer fertig und ging in die Küche, und Emily zog sich nach oben zurück, um ihr einen Scheck auszuschreiben. Dabei fiel ihr ein, dass sie nächste Woche bei der Bank vorbeifahren und Bettys Weihnachtszulage abheben musste - fünf brandneue Zwanziger in einem Umschlag mit ovalem Ausschnitt, in dem Andrew Jacksons Gesicht zu sehen war. Sie notierte es sich, damit sie es nicht vergaß.
    Als Betty den Küchenfußboden gewischt hatte, brachte sie als Letztes den Müll nach draußen. Emily hörte, wie sich die Hintertür öffnete und wieder schloss und kurz darauf die große Tonne rumpelte. Am nächsten Tag kam die Müllabfuhr, und obwohl Emily anfangs beteuert hatte, dass sie das auch allein könne, hatte Betty den Container mit dem schweren Wertstoffbehälter oben drauf einfach die Einfahrt hinunter zum Bordstein geschoben. Emily wartete, bis sie wieder zum Haus kam und die Treppe heraufrief: «Okay, Emily, ich bin fertig.»
    Emily nahm Bettys Mantel aus dem Wandschrank. In der Diele bedankte sie sich und gab ihr den Scheck. «Richten Sie Jesse bitte herzliche Grüße aus.»
    «Und grüßen Sie Ihre Familie von mir», erwiderte Betty.
    Emily brachte sie zur Tür und winkte vom Erkerfenster, als sie in den kleinen Nissan stieg, die Grafton Street entlangfuhr und am Stoppschild

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