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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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war von den Enkeln der jüngste und machte den größten Kummer. Mit zehn oder elf hatte man ihm wegen Ladendiebstahls im örtlichen Einkaufszentrum Hausverbot erteilt, und zusammen mit einem Freund hatte er den Werkzeugschuppen eines Nachbarn in Brand gesteckt. Als er wegen eines Einbruchs im Schulladen zeitweilig vom Unterricht ausgeschlossen worden war, hatte Lisa ihn untersuchen lassen, weil sie sich, wie Arlene vermutete, die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom erhoffte, ein Leiden, das Arlene nach einem Leben als Lehrerin als willkürlich und bequem betrachtete und dessen Existenz die Ärzte durch das Verschreiben von Medikamenten bestätigten, die ihm angeblich helfen würden, sich zu konzentrieren. Trotz der Medikamente und einer speziellen Diät fiel er im zweiten Highschooljahr in mehreren Kursen durch und wurde nicht versetzt, bis Kenneth und Lisa ihn (auf Kosten der Sanners) auf die Milton Academy wechseln ließen, wo er zumindest so gut abschnitt, dass er die unkonventionelle Clark University besuchen konnte, als könnten ihm fehlende Strukturen helfen. Dort blieb er nur ein halbes Semester, dann zog er wieder nach Hause und schrieb sich am Bay State College ein, von dem weder Emily noch Arlene jemals etwas gehört hatten.
    Als Emily nun beim Abendessen als Erstes beiläufig fragte: «Und wie läuft es an der Universität?», hatte sie damit beabsichtigt, ihm Mut zu machen.
    «Ich lege gerade eine Pause ein.»
    «Oh», sagte Emily, bemüht, ihre Überraschung zu überspielen. Sie hatte zwei Gläser Wein getrunken, und diese Entwicklung war ihr ganz neu. «Dann arbeitest du also?»
    «Ja.»
    «Und was, wenn ich fragen darf?»
    «Ich bin bei Bob’s.»
    «Verzeih mir meine Unwissenheit. Was ist Bob’s?»
    «Der Laden», sagte Ella.
    «Das ist ein Kette», erklärte Kenneth. «Sie verkaufen Kleidung.»
    «Und was machst du da?»
    Sam aß etwas von den Käsekartoffeln, als habe er seinen Beitrag zu dem Gespräch bereits geleistet. Nickend schluckte er den Bissen hinunter. «So ziemlich alles. Die Regale auffüllen, an der Kasse sitzen, was gerade anliegt.»
    «Sein offizieller Titel ist Verkaufsmitarbeiter», sagte Kenneth.
    «Wie gefällt’s dir?», fragte Arlene.
    Sam zuckte mit den Schultern. «Ganz okay.»
    «Es ist nur vorübergehend», sagte Kenneth.
    «Natürlich», erwiderte Emily. «Im Herbst gehst du bestimmt wieder zur Universität?»
    «Ich weiß noch nicht, was ich mache.»
    All seine Antworten verwirrten sie. Er wirkte unbeteiligt oder desinteressiert, als hätte er genug von dem Thema, und obwohl Emily spürte, dass es nichts bringen würde, ihn weiter zu bedrängen, konnte sie eine so erschreckende Äußerung nicht unwidersprochen lassen.
    «Ich weiß, dass dein Tante Margaret sich wünscht, sie wäre am College geblieben.»
    «Stimmt», pflichtete ihr Arlene bei.
    «Wir haben bereits darüber gesprochen», sagte Kenneth.
    «Es mag dir nicht so vorkommen, weil du noch jung bist, aber die Chancen, die man im Leben hat, sind begrenzt. Du willst doch nicht in zwanzig Jahren aufwachen und feststellen, dass der Zug abgefahren ist.»
    Sam hatte aufgehört zu essen und wartete mit den Händen im Schoß, bis Emily fertig war, als würde sie ihn bestrafen. «Das versuche ich mir zu merken.»
    «Es geht mir nicht darum, auf dir herumzuhacken. Ich würde Ella dasselbe sagen.»
    «Klar.»
    «Wirklich.»
    «Nur dass du’s nicht brauchtest, weil sie Ella ist.»
    «Ich halte mich da raus», sagte Ella und hob beide Hände. «Ich sage bloß meine Meinung», beteuerte Emily. «Tut mir leid, dass ich davon angefangen habe.»
    «Ist schon in Ordnung», erwiderte Kenneth, als wäre er die letzte Instanz.
    «Wenn es nicht zu große Umstände macht», sagte Arlene, «hätte ich gern ein kleines Stück Schinken.»
    Während des weiteren Abendessens mieden sie das Thema, als sei es abgeschlossen. Erst als Arlene weg war und die Kinder oben fernsahen, setzte sich Kenneth mit Emily ins Wohnzimmer und erzählte ihr die wahre Geschichte. Sam habe jede Menge Seminare belegt und sich wacker geschlagen, bis er sich in der Woche vor den Zwischenprüfungen eine Grippe zugezogen habe. Die Hochschullehrer hätten ihm einen neuen Termin gegeben. Er habe behauptet, extra dafür gelernt zu haben, sei aber bei allen vier Prüfungen durchgefallen und habe beschlossen abzugehen, solange sie noch einen Teil des Geldes zurückerstattet bekamen.
    «Deshalb war er so geknickt.»
    «Es wäre schön gewesen, wenn ich das früher

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