Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
seines Vaters Zorn fühlte, gab dem Jungen seine feige Beredsamkeit wieder. Catherine war dem Wahnsinn nahe, doch bestand sie darauf, dass sie nach Hause müsse, und legte sich ihrerseits aufs Bitten und redete ihm gut zu, seine selbstsüchtige Angst zu zähmen.
Indem sie so miteinander redeten, kam unser Gefängniswärter wieder herein.
»Eure Gäule sind davongetrabt«, sagte er, »und… Na, Linton, wieder am Greinen? Was hat sie dir getan? Komm, komm, hör auf und geh zu Bett. In ein oder zwei Monaten, mein Junge, wirst du imstande sein, ihr tyrannisches Benehmen mit starker Hand heimzuzahlen. Du schmachtest nach wahrer Liebe, nicht wahr? Nach nichts anderem in der Welt: und sie soll dich kriegen. Nun, zu Bett! Zillah ist heute abend nicht da, du musst dich allein entkleiden. Still, halt den Mund! Wenn du erst in deinem eigenen Zimmer bist, werde ich nicht in deine Nähe kommen, du brauchst keine Angst zu haben. Übrigens, du hast deine Sache ganz gut gemacht; den Rest überlass mir.«
Während dieser Worte hielt er die Tür auf, damit sein Sohn hinausgehen konnte, und der schlüpfte hindurch wie ein Wachtelhund, der von seinem Wärter einen boshaften Fußtritt erwartet. Das Schloss wurde gesichert, Heathcliff trat ans Feuer, wo meine Herrin und ich schweigend standen. Catherine blickte auf und hob ihre Hand unwillkürlich vor das Gesicht; denn seine Nähe weckte in ihr schmerzliche Gefühle. Kein anderer wäre imstande gewesen, bei dieser kindlichen Bewegung seinen Ernst zu bewahren; aber er blickte sie finster an und murmelte: »Ich denke, du fürchtest dich nicht vor mir? Wo ist dein Mut geblieben? Du scheinst verfluchte Angst zu haben.«
»Jetzt fürchte ich mich«, erwiderte sie, »weil Papa unglücklich sein wird, wenn ich bleibe; und ich kann es nicht ertragen, ihn unglücklich zu wissen, wo er doch… wo er… Mr. Heathcliff, lassen Sie mich nach Hause gehen. Ich verspreche Ihnen, Linton zu heiraten; Papa wird einverstanden sein, und ich liebe ihn, und warum wollen Sie mich zu etwas zwingen, was ich freiwillig tun will?«
»Er soll es wagen, Sie zu zwingen!« rief ich. »Gottlob gibt es noch Gesetze in unserem Land, ja, wenngleich wir so abseits liegen. Ich würde ihn anzeigen, wenn er mein eigener Sohn wäre, und ohne den Segen der Kirche ist es ein schweres Verbrechen.«
»Schweig!« sagte der Schurke. »Zum Teufel mit deinem Geschrei! Du hast den Mund zu halten. Miss Linton, der Gedanke, dass Ihr Vater unglücklich sein wird, bereitet mir ein ganz besonderes Vergnügen; ich werde vor Genugtuung nicht schlafen können. Sie konnten keinen sicherern Weg einschlagen, um Ihren Aufenthalt unter meinem Dach für die nächsten vierundzwanzig Stunden festzulegen, als mich das wissen zu lassen. Was Ihr Versprechen, Linton zu heiraten, angeht, so werde ich dafür sorgen, dass Sie es halten; denn Sie werden diesen Ort nicht eher verlassen, als bis es in die Tat umgesetzt worden ist.«
»Dann schicken Sie Ellen, damit sie Papa Bescheid sagt, dass ich in Sicherheit bin«, rief Catherine, bitterlich weinend. »Oder lassen Sie uns gleich trauen. Armer Papa! Ellen, er wird denken, wir seien umgekommen. Was sollen wir tun?«
»Das wird er nicht. Er wird denken, Sie seien es überdrüssig, ihn zu pflegen, und seien davongelaufen, um eine Abwechslung zu suchen«, antwortete Heathcliff. »Sie können nicht leugnen, dass Sie mein Haus aus freien Stücken betreten haben, entgegen seinem ausdrücklichen Befehl. Und es ist ganz natürlich, dass Sie in Ihrem Alter nach Abwechslung verlangen und dass Sie es überdrüssig sind, einen kranken Mann zu pflegen, noch dazu, wenn dieser Mann nur Ihr Vater ist. Catherine, seine glücklichsten Tage waren vorbei, als Ihr Leben begann. Ich glaube, er fluchte Ihnen, als Sie auf die Welt kamen — ich zum mindesten tat es —, und es wäre nur recht, wenn er Sie verfluchte, jetzt, da er die Welt verlässt. Ich würde ihm beistimmen. Ich kann Sie nicht leiden. Wie sollte ich auch? Weinen Sie nur. Soweit ich es voraussehen kann, wird das von jetzt an Ihre Hauptbeschäftigung sein, es sei denn, dass Linton Sie für den Verlust eines anderen entschädigt. Ihr besorgter Vater scheint sich einzubilden, dass er das vermag. Seine mit Rat und Trost gefüllten Briefe haben mir großes Vergnügen bereitet. In seinem letzten empfiehlt er meinem Sohn, seine Tochter sorgsam zu hüten und freundlich zu ihr zu sein, wenn sie die Seine würde. Sorgsam und freundlich, das ist väterlich gedacht. Aber
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