Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
Heathcliff keine Ahnung von diesen Dingen hat. Nicht wahr, er weiss doch nichts? Er weiss doch nicht, was es heisst, verliebt zu sein?«
»Ich sehe nicht ein, warum er es nicht geradesogut wissen sollte wie Sie«, entgegnete ich, »und wenn seine Liebe auf Sie gefallen wäre, so wäre er das unglücklichste Geschöpf, das je geboren wurde! Sobald Sie Mrs. Linton werden, verliert er Freundschaft, Liebe und alles! Haben Sie darüber nachgedacht, wie Sie die Trennung ertragen werden und wie er es ertragen wird, ganz verlassen zu sein in der Welt? Denn, Miss Catherine…«
»Er ganz verlassen? Wir getrennt?« rief sie in verächtlichem Tonfall. »Bitte, wer soll uns trennen? Nicht, solange ich lebe, Ellen, um keines menschlichen Wesens willen. Alle Lintons der Welt könnten in nichts zergehen, ehe ich einwilligte, Heathcliff im Stich zu lassen. Oh, das ist nicht meine Absicht — ich denke gar nicht an so etwas! Ich würde um einen solchen Preis niemals Mrs. Linton werden. Er wird genau dasselbe für mich bleiben, was er sein Leben lang war. Edgar muss seine Abneigung überwinden und ihn zum mindesten dulden. Und er wird es tun, wenn er meine wahren Gefühle für ihn kennenlernt. Nelly, ich merke schon, du hältst mich für ein selbstsüchtiges Geschöpf; aber ist es dir nie eingefallen, dass Heathcliff und ich Bettler wären, wenn wir heiraten würden? Dagegen kann ich, wenn ich Linton heirate, Heathcliff helfen hochzukommen und kann ihn aus der Gewalt meines Bruders befreien.«
»Mit dem Gelde Ihres Mannes, Miss Catherine?« fragte ich. »Sie werden ihn nicht so nachgiebig finden, wie Sie glauben, und obwohl mir kaum ein Urteil darüber zusteht, meine ich, dass unter allen Gründen, die Sie bisher für eine Ehe mit dem jungen Linton angeführt haben, dies der schlimmste ist.«
»Nein«, widersprach sie, »es ist der beste! Bei den anderen Beweggründen handelte es sich um die Befriedigung meiner Launen und auch darum, Edgar zufriedenzustellen. Bei diesem handelt es sich um jemand, der in seiner Person meine Gefühle für Edgar und mich selbst vereinigt. Ich kann es nicht ausdrücken; aber sicher hast du und haben wir alle die Vorstellung, dass es ein Dasein im Jenseits gibt oder geben müsste. Welchen Wert hätte meine Erschaffung, wenn ich völlig an die Erde gebunden wäre? Meine schlimmsten Nöte in dieser Welt sind Heathcliffs Nöte gewesen, und ich habe jede von ihnen von Anfang an gesehen und mitgefühlt. Meine ganze Vorstellung vom Leben ist er. Wenn alle anderen zugrunde gingen und er übrigbliebe, würde ich fortfahren zu sein; und wenn alle anderen blieben und er würde vernichtet, so würde sich das Weltall in etwas vollkommen Fremdes verwandeln, und ich würde nicht mehr dazugehören. Meine Liebe zu Linton ist wie das Laub im Walde: die Zeit wird sie ändern, ich bin mir dessen bewusst, wie der Winter die Bäume verändert. Meine Liebe zu Heathcliff gleicht den ewigen Felsen dort unten; sie ist eine Quelle kaum wahrnehmbarer Freuden, aber sie ist notwendig. Nelly, ich bin Heathcliff! Ich habe ihn immer, immer im Sinn, nicht zum Vergnügen, genausowenig, wie ich mir selbst stets ein Vergnügen bin, sondern als mein eigenes Sein. Darum sprich nicht wieder von unserer Trennung; sie ist unausführbar und…«
Sie hielt inne und verbarg ihr Gesicht in den Falten meines Kleides, aber ich stiess sie gewaltsam weg. Ich war empört über ihre Torheit.
»Wenn in Ihrem Unsinn überhaupt irgendein Sinn enthalten ist«, sagte ich, »so überzeugt mich das nur davon, dass Sie die Pflichten, die Sie bei einer Heirat übernehmen, nicht kennen oder dass Sie ein schlechtes, gewissenloses Mädchen sind. Aber verschonen Sie mich mit weiteren Geheimnissen; ich könnte nicht versprechen, darüber zu schweigen.«
»Aber dieses Mal wirst du schweigen?« fragte sie eifrig.
»Nein, ich werde das nicht versprechen«, wiederholte ich. Sie wollte weiter in mich dringen, aber der Eintritt Josephs beendete unsere Unterhaltung; Catherine setzte sich in eine Ecke und nahm mir Hareton ab, während ich das Nachtessen bereitete. Als es gekocht war, begannen mein Küchengefährte und ich uns darüber zu zanken, wer Mr. Hindley etwas davon bringen sollte, und wir wurden uns nicht einig, bis alles fast kalt geworden war. Schließlich einigten wir uns: er mochte darum bitten, falls er essen wollte; denn wir gingen ganz besonders ungern zu ihm hinein, wenn er eine Zeitlang allein gewesen war.
»Un is ’n der Taugenichts noch nich vom
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