Emma will’s wissen
»Die hat mir Hilda zu Weihnachten geschenkt.« Er kratzte sich am Kopf. »War das im letzten Jahr? Oder im vorletzten?«
Ich sah auf das Datum, das auf dem Grabstein stand. Hilda Marten war vor über zehn Jahren gestorben. Plötzlich tat mir Herr Marten furchtbar leid.
»Sollen wir die Kerze wieder anzünden?«, fragte ich.
Herr Martens Gesicht hellte sich auf. »Gute Idee! Aber womit?«
Ich kramte in meinen Jackentaschen. Darin bewahre ich allen möglichen Krimskrams auf. Ich fand: einen Bindfaden, mehrere benutzte Taschentücher, eine angebrochene Packung Kaugummis, einen schwarzen Knopf, einen Kieselstein in Herzform (den hatte mir Bastian geschenkt), einen Bleistiftstummel, einen zusammengeknüllten Zettel, auf dem
Heute Nachmittag bei mir?
stand (den hatte mir Lea mal in der Schule zugesteckt, als wir noch befreundet waren), ein Hustenbonbon und – ein altes Feuerzeug.
»Na bitte«, sagte ich zufrieden. Manchmal ist es ganz gut, seine Taschen nie auszuräumen. Auch wenn Mama was anderes sagt (nämlich: »Jackentaschen sind keine Müllkippe, Emma« – falls es euch interessiert).
Es dauerte eine Weile, bis das Feuerzeug zündete. Es war fast leer und das kleine Rädchen war verrostet. Aber beim dritten Versuch loderte endlich eine Flamme auf. Sie war so winzig, dass man sie kaum sehen konnte. Ich hielt meine Hand davor, damit der Wind sie nicht gleich wieder auspustete, und zündete das Grablicht an. Dann stellte ich es zurück auf die Schneedecke.
Eine Weile betrachteten wir schweigend die flackernde Kerzenflamme. »Schön«, sagte Herr Marten schließlich. »Jetzt muss Hilda nicht mehr im Dunkeln liegen.«
»Ja«, sagte ich. Dann griff ich nach Herrn Martens Hand. »Kommen Sie, wir gehen nach Hause.«
Zu dritt liefen wir über den Friedhof und durch die leeren Straßen. Der Schnee glitzerte in dem matten Licht, das aus den Fenstern der Häuser in die Vorgärten fiel.
»Das ist übrigens Mona«, sagte ich, als wir in Herrn Martens Straße einbogen. Sie hatte bisher kein Wort gesagt. Aber ich war trotzdem froh, dass sie da war.
»Guten Tag.« Herr Marten reichte ihr förmlich die Hand.
»Guten Tag«, sagte Mona ein bisschen schüchtern.
»Bist du eine Freundin von Pummelchen?«, fragte Herr Marten.
Monas Gesicht war ein großes Fragezeichen und ich musste grinsen. »Ja«, sagte ich schnell. »Eine sehr gute Freundin sogar.«
Vor Herrn Martens Haus hielten wir an. Es war das einzige in der Straße, in dem kein Licht brannte. Herr Marten klopfte auf seine Hosentaschen. »Oh nein!«, rief er. »Ich glaube, ich habe meinen Schlüssel vergessen. Hoffentlich ist Hilda zu Hause.«
»Ich hab eine Idee«, sagte ich und ging durch den Garten zur Hintertür. Ich hatte sie vorhin nicht abgeschlossen. Ich betrat das Haus und öffnete die Vordertür.
»Na, so was!« Herr Marten schüttelte überrascht den Kopf.
»Hereinspaziert!«, sagte ich.
Wir gingen in die Küche. Mona rümpfte die Nase. »Hier stinkt’s.«
»Die Milch ist angebrannt.« Ich zeigte auf den schwarzen Topf in der Spüle.
»Wollte ich nicht Kakao kochen?«, überlegte Herr Marten. Er sah mich fragend an.
»Sie müssen sich erst mal was Trockenes anziehen«, sagte ich. »Sonst holen Sie sich noch den Tod.« Das sagt Oma immer, wenn ich mit nassen Haaren vom Schwimmtraining komme.
Herr Marten ging nach oben.
Mona sah ihm zweifelnd nach. »Schafft er das alleine?«
»Bestimmt.« Ich klang zuversichtlicher, als ich es tatsächlich war. Was, wenn er es nicht alleine schaffte? Mussten wir ihm dann beim Umziehen helfen? Bei dem Gedanken lief es mir kalt den Rücken hinunter.
»Vielleicht sollten wir ihm einen heißen Tee kochen«, schlug Mona vor. »Er sah ganz verfroren aus.«
»Herr Marten trinkt keinen Tee«, sagte ich. »Er trinkt Kaffee.«
»Gut, dann kochen wir eben einen heißen Kaffee.« Mona sah sich um.
»Die Kaffeedose steht da drüben.« Ich zeigte auf die Anrichte. Plötzlich fiel mir etwas ein. »Aber sie ist fast leer, hat Herr Marten neulich gesagt. Moment mal – hab ich nicht letzte Woche frischen Kaffee gekauft?« Ich tauchte in den Küchenschrank und suchte zwischen Konservendosen und Gläsern mit eingemachten Früchten. »Da ist er ja!« Ich zog ein Päckchen Kaffee hervor.
»Was ist denn das?« Mona stand vor der Anrichte, mit der Kaffeedose in der Hand. »Sieh dir das an!« Sie hielt mir die Dose hin.
Ich schaute hinein und schnappte nach Luft. In der Dose war gar kein Kaffee! In der Dose waren Münzen! Keine
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