Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
auf mich reagierte. »Ich weiß nicht. Brian, so hieß mein Mann, wollte keine. Er sagte: Lass uns zu zweit glücklich sein. Das war für mich okay. Ich hatte nie den großen Kinderwunsch.«
»Vielleicht kommt der noch?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Kann ich mir nicht vorstellen.« Ich sprach es aus, und es fühlte sich an wie eine Lüge. Was mich verwirrte. Doch während ich im Krankenhaus mit Emma an Kaelynns Bettchen saß und mir erklären ließ, was all die Maschinen zu bedeuten hatten und welche Untersuchungen wann an der Reihe waren, k am ich nicht dazu, diesem Gefühl nachzuhorchen. Nac h einer guten Stunde verabschiedete ich mich von meiner Freundin. Wir versprachen, uns bald wieder zu melden, ich umarmte Emma und strich Kaelynn ganz sanft über die winzige Nase.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis ich aus der Stadt draußen war. Das Krankenhaus lag im Südwesten von Cork, danach ging es weitere zwanzig Minuten über Land. Während der Fahrt dachte ich darüber nach, was das Gespräch mit Emma über meinen Kinderwunsch in mir ausgelöst hatte. War das Thema für mich doch noch nicht ganz abgeschlossen?
Ich parkte vor dem Jacob’s Ladder. Tief in Gedanken versunken ging ich auf mein Zimmer. Vorbei an dem amerikanischen Gast, den ich mechanisch anlächelte, vorbei an Mary, die meinen neuen Mantel bewundern wollte und die ich auf später vertröstete mit den Worten »muss mich kurz hinlegen«.
Als ich allein in meinem – Sophies – Zimmer war, warf ich mich aufs Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke.
Wir hatten ein schönes Leben gehabt. Nichts und niemand stand zwischen uns. Wir hatten einige Bekannte, deren Ehen daran gescheitert waren, dass sie sich wegen der Kinder auseinandergelebt hatten oder dass sie das Gefühl hatten, ihr Leben verpasst zu haben. So hatten wir nie werden wollen.
Und jetzt? Was war geblieben? Brian war tot, ich war allein. Bereute ich es, dass wir keine Kinder gehabt hatten? Ich versuchte, mir zu sagen, dass unsere Beziehung eine andere gewesen wäre. Vielleicht hätten auch wir uns auseinandergelebt, keine Zeit mehr für Zweisamkeit gefunden. Vielleicht wären wir an den Alltagssorgen zerbrochen. Wären wir überhaupt gute Eltern gewesen?
Der Anblick von Emmas Töchterchen ging mir nicht aus dem Kopf, und ich konnte nicht anders als zu denken: Vielleicht hätte uns so ein winziges Wesen auch erst einen echten Lebensinhalt gegeben. Mein Verwaltungsjob an der Uni war kein Lebenstraum gewesen, und Brian hatte sich die letzten Jahre mehr gequält – mit seiner Agenturpleite und der Arbeitslosigkeit – , als dass er Erfüllung gehabt hätte. Was, wenn wir ein Kind bekommen hätten? Wäre dann alles anders gekommen? Würde er dann noch leben?
Absurd. Es wäre alles möglich gewesen. Auch dass ich wie Emma geschieden und als alleinerziehende Mutter ohne Brian hätte dasitzen können. Brian hatte keine Kinder gewollt. »Wir wollen doch beide unabhängig sein. Reisen. Spontan sein. Vielleicht in eine andere Stadt ziehen. Und mit Kindern? Da muss man sich jede Entscheidung zwanzigmal überlegen. Rücksicht nehmen. Die eigenen Bedürfnisse zurückstecken. Wollen wir das? Wollen wir nicht erst einmal richtig leben?« Und ich hatte zugestimmt, aus vollem Herzen.
Ich hatte immer gedacht, wir hätten noch so viel Zeit miteinander. Die Frage, wie es in mir aussah – hatte ich sie verdrängt? Hatte sie sich mir einfach irgendwann nicht mehr gestellt? Oder hatte ich mir einfach nicht zugestehen wollen, dass ich Zweifel an der Entscheidung hatte, die ich letztlich doch gemeinsam mit Brian getroffen hatte?
Meine Gedanken drehten sich im Kreis, und ich kam keinen Schritt weiter. Ich beruhigte mich schließlich damit, dass mich der Besuch auf der Frühchenstation emotional überfordert hatte. Waren nicht alle Menschen überwältigt, wenn sie ein Baby sahen? Und wenn das Baby dann noch sehr viel kleiner und zarter war, weil es keine neun Monate im Bauch der Mutter gewesen war? Brachte das nicht jeden aus der Bahn und ganz besonders kinderlose Frauen in meinem Alter?
Ich nahm mir ein Buch, um mich abzulenken. Darüber schlief ich ein, bis mich Mary weckte und fragte, ob ich denn kein Abendessen wollte. Sie ließ sich meinen Ledermantel vorführen, ich aß eine Kleinigkeit, ging anschließend sehr lang spazieren und fiel später in einen unruhigen Schlaf. Ich träumte von Emmas Töchterchen, das mit seinen Miniaturfingern nach mir griff, mich aber nicht
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