Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Gerüche, gute und schlechte. Dachte daran, wie sehr ich mich danach sehnte herumzureisen und wie sehr ich Irland liebte und hier immer meinen Anker haben wollte.
Ich könnte jetzt irgendwo in Europa unterwegs sein. Zusammen mit Matt. Der Gedanke machte mich wütend und traurig zugleich.
Wo war er wohl heute? Würde er wiederkommen? Würde er sich melden?
Wollte ich das?
Mein Herz kannte die Antwort, aber ich wollte sie nicht hören.
Ich ging ein paar Schritte die Straße entlang. Gerade wollte ich mich umdrehen und zurück zum Pub gehen, aber dann entschied ich mich anders und lief zur Bushaltestelle. Irgendwie wusste ich auf einmal, dass Emma mit dem nächsten Bus kommen würde. Dass sie keine Zeit verloren hatte, um herzukommen.
Ich musste noch eine Viertelstunde warten, dann sah ich den Bus aus Cork um die Kurve kommen. Emma stieg aus – blass, dünn, eine langärmelige Strickjacke über einem blauen Kleid – und kam auf mich zu. Wir umarm ten uns nicht. Sie sah mich mit großen, ängstlichen Aug en an.
»Wo gehen wir hin?«, fragte sie.
»Charles Fort«, sagte ich.
»Aber es wird gleich dunkel, und …« Sie hielt inne, schien sich zu erinnern. »Charles Fort. Gut.«
Schweigend gingen wir den Weg zurück, den ich gekommen war, vorbei am Jacob’s Ladder, bis wir die alte Festung erreichten. Dort kletterten wir über die Absperrung, doch anders als vor fünfundzwanzig Jahren kicherten wir nicht, flüsterten nicht aufgeregt. Wir durchquerten die Anlage, steuerten auf die südliche Außenmauer zu, wo wir früher einmal eine halbe Nacht lang gesessen hatten. Bevor wir sie erreichten, blieb Emma stehen. Ich wandte mich zu ihr und sah sie an.
»Du weißt es also«, sagte sie.
Ich nickte.
27.
Wir gingen durch die Ruinen, die das Feuer 1922 im Irischen Bürgerkrieg überstanden hatten und heute nur noch Touristen und Gestrüpp trutzen mussten, bis wir an die Stelle kamen, von der wir damals überzeugt gewesen waren, dass sie magisch sein musste. Die Außenmauer befand sich auf einer Anhöhe, von der aus man die Bucht nach Süden hin bis zum Meer überblicken konnte. Ich wusste nicht, ob man die Anhöhe vor über dreihundert Jahren künstlich zum besseren Schutz angelegt hatte. Ich dachte nur daran, wie wir im Alter von zwölf Jahren uns vorstellten, am Eingang Irlands zu stehen. Wie wir von hier aus darüber wachen würden, wer uns besuchte und wer wieder ging. Wir schickten ungeliebte Klassenkameraden mit dem Schiff auf Weltreise und luden uns lieb gewonnene Gestalten ein, die wir uns ausgedacht hatten oder aus Büchern kannten. Wir hatten uns hier einmal mehr unsere eigene Welt geschaffen.
Nun kletterten wir auf die durch Schießscharten durchbrochene Mauer und sahen auf die Bucht, die langsam von der Dunkelheit verschluckt wurde. Die Erinnerungen an früher waren überwältigend, und gleichzeitig nahm mir die Gewissheit, dass wir jetzt zum letzten Mal so zusammensitzen würden, die Luft.
»Warum diese Lügen? Warum so viele Geheimnisse?«, fragte ich ruhig, als wir uns niedergelassen hatten.
Sie ließ ihre Beine gegen die Mauer schlagen wie ein Kind. »Ich wollte es dir ja sagen. Aber dann stand ich vor dir und … Ich konnte es nicht mehr.«
»Das ist Unsinn! Was hat dich denn daran gehindert?«
»Na, was wohl! Ich hatte Angst davor, wie du reagierst.«
Ich lachte. Es klang bitter. »Ich bin selbst ein uneheliches Kind! Wie hätte ich wohl reagiert, wenn du mir gesagt hättest, dass dein Kind nicht von deinem Ehemann ist?«
Sie schwieg.
»Was ist mit dem richtigen Vater?«
»Wie hast du es eigentlich herausgefunden?«, fragte sie mich. Ich durchschaute das Ablenkungsmanöver natürlich, aber ich antwortete trotzdem.
»Was glaubst du wohl? Ich dachte, du würdest dich aus welchen Gründen auch immer nicht trauen, Kontakt mit deinem Exmann aufzunehmen. Also wollte ich dir helfen und mit ihm reden. Schließlich geht es um ein kleines, süßes Wesen, das es verdient hat zu leben! Ich habe ein bisschen im Internet gesucht, bin dann nach London geflogen und habe mit ihm geredet.« Nun war ich diejenige, die die Wahrheit hinbog. Die eine Abkürzung nahm. Die ein Geheimnis für sich behielt.
Sie zupfte am Ärmel ihrer Jacke herum. »Was sagt er? Wie geht es ihm?«
Ich hob die Schultern. »Er sah etwas überarbeitet aus. Du hast mir übrigens auch nie erzählt, dass du ein Jahr lang in Indien warst.«
Sie nickte stumm.
»Bist du von jemandem schwanger geworden, den du dort kennengelernt
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