Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Wut stieg in mir auf und gab mir neue Energie. Ich stand auf, klopfte meinen Rock ab und ging.
»Warte! Ich komme mit. Ich habe eine Taschenlampe am Handy …«
Als ich mich mit einem Ruck zu ihr umdrehte, verstummte sie und blieb stehen. Ich musste nichts sagen, es reichte, dass ich sie ansah. Sie wich ein paar Schritte vor mir zurück. Ich ging weiter, orientierte mich an den Ruinen, die als große schwarze Schatten in den sternenklaren Himmel aufragten.
Die Wut hatte mich nicht sprechen lassen, als Emma vor mir gestanden hatte. Jetzt fluchte ich unter Tränen vor mich hin und wünschte ihr alles Schlechte, das mir einfiel. Ich gelangte endlich an die Absperrung, kletterte über sie, rannte den ganzen Weg zum Pub, stürmte ins Haus und nahm bei der Treppe zwei Stufen auf einmal. Ich warf mich aufs Bett und heulte in mein Kissen.
Wenig später hörte ich Marys Stimme.
»Es ist doch nichts mit Kaelynn?«, fragte sie besorgt.
Ich setzte mich auf, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, schluckte und sagte: »Brian und Emma. Sie hatten ein Verhältnis.«
Mary setzte sich neben mich aufs Bett. »Wann? Bevor ihr geheiratet habt?«
»Kaelynn ist seine Tochter.«
Mary sah mich entsetzt an. »Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist das ein verdammt schlechter.«
»Sie hat es mir gerade gesagt.« Ich wischte mir Tränen vom Kinn. Sie liefen immer weiter.
»Und sie wagt es, bei dir auf Freundin zu machen? Ich kann das gar nicht glauben!« Mary stand auf und ging unruhig ein paar Schritte auf und ab. »Ich hol uns was zu trinken. Was willst du?«
»Machst du mir einen Tee?«, fragte ich.
»Tee? Das kann nicht dein Ernst sein. Whiskey ist das Mindeste.«
Während sie fort war, starrte ich an die Zimmerdecke und versuchte zu begreifen. Er hatte ein Kind mit einer anderen Frau gezeugt. Während ich meinen Kinderwunsch immer zurückgestellt hatte, ihm zuliebe. Es konnte, es durfte nicht wahr sein! Es war alles nur ein Albtraum, aus dem ich jeden Moment erwachen musste …
Aber ich wusste, dass sie die Wahrheit gesagt hatte und dass ich nicht träumte. Endlich fielen alle Puzzleteilchen auf ihren Platz. Ich verstand, warum sie komisch reagiert hatte, wenn ich von Brian erzählt hatte. Oder wenn die Sprache auf Kaelynns Vater kam. Ich wusste nun, warum Brian sich in den letzten Wochen und Monaten seines Lebens so von mir zurückgezogen hatte und wo er seine Zeit verbracht hatte, wenn er erst Stunden nach einem a ngeblichen Bewerbungsgespräch zurückgekommen wa r. »Mit den Jungs was trinken«, hatte logisch geklungen, aber hatte ich es wirklich geglaubt? Hatte nicht schon Misstrauen an mir gefressen?
Und bestimmt war er in der Nacht seines Todes auch bei ihr gewesen. Vielleicht hatte er zu viel getrunken, weil er seine bevorstehende Vaterschaft feiern wollte. Mit ihr hatte er ein Kind gewollt. Aber nicht mit mir.
Mir schwirrte der Kopf, als Mary mit zwei Gläsern und einer Whiskeyflasche hereinkam.
»Sie war unten im Pub. Ich hab sie weggeschickt«, sagte sie.
»Wirklich?«
»Na klar, glaubst du, ich will sie unter diesen Umständen im Haus haben?«
»Nein, ich meinte, sie war wirklich hier?«
Mary nickte. »Wollte hören, wie’s dir geht. Ich habe sie gefragt, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat. Also wirklich. Dann wollte sie wissen, ob noch ein Bus zurückfährt. Hab ihr nur gesagt, wie sie zur Bushaltestelle kommt.«
»Es fahren keine Busse mehr«, sagte ich.
»Weiß ich auch.«
»Wow. Gemein.«
»Sie ist erwachsen, und es gibt Taxis.«
»Wenn nur Kaelynn nicht so krank wäre …«
»Kaelynn. Aber nicht Emma. Die hat zwei Beine bis auf den Boden und kann auch schon selbst telefonieren. Ich frage mich, warum sie sich an dich rangemacht hat. Was hat sie sich davon versprochen?«
Ich hob die Schultern und goss mir einen Schluck Whiskey ein. Mary nahm mir die Flasche ab und goss mein Glas halb voll. Dann füllte sie sich ihr Glas und prostete mir zu.
» Sláinte !«
» Sláinte «, erwiderte ich, nur viel leiser. Wörtlich übersetzt hieß es »Gesundheit«, und natürlich kam ich nicht davon ab, an Kaelynn zu denken, die Gesundheit mehr gebrauchen konnte als wir alle zusammen. Kaelynn, Brians Tochter.
Wir tranken unseren Whiskey, Mary fluchte hin und wieder auf, und nach einer Weile war ich betrunken genug, um den Schmerz nicht mehr ganz so sehr zu spüren.
»Ich muss hier weg«, sagte ich. »Ich muss ganz weit weg. Hier sind zu viele Gespenster.«
Mary nickte. Ich hatte halb gehofft, sie
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