Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
hast?«
Kopfschütteln.
»Du meine Güte, muss ich dir denn alles aus der Nase ziehen? Was ist jetzt, reden wir oder nicht?« Es war bereits so dunkel, dass ich ihr Gesicht nicht mehr richtig sehen konnte. Als sie nach endlosen Minuten immer noch nichts sagte, fragte ich: »Kennst du den Vater nicht? Das kannst du mir sagen. Es gibt nichts, womit du mich in moralische Entrüstung versetzen könntest.«
»Ich kann nicht«, sagte sie.
»Was kannst du nicht?« Und als wieder nichts zu kommen schien, fuhr ich fort: »Es geht hier nicht mehr nur um dich und deine Befindlichkeiten und ob du dich mit dem Mann zerstritten hast oder was auch immer. Es geht um Kaelynns Leben! Du musst mit ihrem Vater reden. Er muss sich testen lassen und seine Verwandten auch. Wie kannst du nur so egoistisch sein?«
Scheinbar hatte ich den richtigen Knopf gedrückt. »Ich bin nicht egoistisch!«, fuhr sie mich an. »Ich will nur …« Emma brach ab. »Kate, du verstehst es nicht. Ich kann nicht mit ihm reden. Er war verheiratet …«
»Das kann dir im Moment ziemlich egal sein«, fiel ich ihr ins Wort. »Deine Tochter …«
»Warte«, unterbrach sie mich. »Er ist … gestorben.«
Ich erschrak. Auch sie hatte jemanden vor nicht allzu langer Zeit verloren. Ich wusste, wie sie sich fühlte. Aber ich verstand nicht, warum sie es mir nicht gesagt hatte …
»Das tut mir sehr leid«, sagte ich. »Was ist mit seiner Familie, hat er Geschwister? Leben seine Eltern noch?«
Sie nickte. »Ich habe keinen Kontakt zu ihnen. Ich habe sie nie kennengelernt.«
»Warum nicht?«
»Sie leben in England. Wir kannten uns zu wenig, um …« Sie brach wieder ab, nun weinte sie. Meinem Impuls, den Arm um sie zu legen, kam ich nicht nach.
»Hat sein Tod die Geburt vorzeitig ausgelöst?«, fragte ich.
»Es ging mir so schlecht danach, ich wollte nicht mehr leben.« Sie schob die Ärmel zurück. »Deshalb die langen Ärmel. Wegen der Narben. Ich habe versucht, mich umzubringen.«
Emma hielt mir ihre Arme direkt vors Gesicht. Ich ließ einen Zeigefinger über die Innenseite ihres Unterarms gleiten. Entsetzen überkam mich. »Du wolltest dich umbringen, mit dem Kind?«
»Es war noch ganz am Anfang der Schwangerschaft. Aber danach wollte ich nur noch eins: leben, mein Kind bekommen und immer für die Kleine da sein.«
»Das hättest du mir alles sagen können.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich schaffe es ja jetzt kaum, es dir zu sagen.«
»Du hast es doch gerade«, sagte ich.
»Noch nicht alles.« Sie sprang von der Mauer, ging ein paar Schritte herum, dann lehnte sie sich an das Geländer vor einer Schießscharte und sagte: »Verstehst du es immer noch nicht? Kaelynns Vater starb Ende November bei einem Autounfall. Muss ich noch mehr sagen?«
Sie musste nicht. Die Erkenntnis stand so deutlich vor mir, als hätte jemand einen Scheinwerfer darauf gerichtet, und ich fühlte mich, als würde ich mich unter Wasser bewegen. Durch meinen Kopf schossen tausend Gedanken: Emma und Brian? Warum? Wie konnte das sein? Wieso habe ich nichts gemerkt? Woher kannten sie sich? Wann haben sie sich getroffen? Waren sie gemeinsam in unserem Haus gewesen? Warum ausgerechnet Emma?
»Nein«, sagte ich. »Brian hätte mir das nicht angetan.« Ich sprach ganz langsam. Ganz deutlich.
Emma sah mich mit riesigen Augen an. »Kate, ich …«
»Brian ist mein Mann«, sagte ich. »Er tut so etwas nicht.« Ich fühlte mich ein wenig schwindelig, schwebend sogar, und dann folgte ein pulsierender Kopfschmerz. Ganz langsam kroch er vom Nacken in meine Stirn. »Ich geh jetzt besser nach Hause.«
»Kate.« Ich sah, dass sie meinen Namen sagte, aber ich hörte es nicht. Ich ließ mich von der Mauer gleiten, verharrte einen Moment und dachte über das Meeresrauschen nach, das immer weiter anschwoll und verschluckte, was Emma sagte. Sie bewegte nämlich immer noch ihren Mund, aber ich konnte wirklich nichts hören außer einem fernen, dunklen Rauschen. Ich konnte auch nichts mehr sagen, und aus dem schwachen Dämmerlicht wurde mit einem Mal tiefe Dunkelheit. Das Letzte, an was ich mich noch erinnerte, war, dass ich schrecklich müde war, ins Gras sank und einfach nur schlafen wollte.
28.
Mit dem Erwachen kam der Schmerz. Ungefiltert und schonungslos. Ich erkannte kaum die Gestalt, die sich über mich gebeugt hatte, weil es dunkel war, aber ich wusste, es konnte niemand anders als Emma sein. Sie berührte mich, um mich zu stützen und mir aufzuhelfen. Ich schlug ihren Arm weg.
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