Emmas Story
die neben ihr stand und die sie gefragt hat, wann sie wieder zu Hause sein werden.
Antonie, die heute Mittag zu ihrer Tante nach Marburg gefahren ist. Das weiß ich nämlich von Frauke. Denn Frauke klang in unserem Telefonat gestern tatsächlich ein wenig traurig, als sie erzählte, dass Antonie ausgerechnet am Abend vor einem Wochenende, das sie sowieso schon nicht gemeinsam verbringen, noch mit Lu herumziehen muss.
Das war gestern. Gestern sind Antonie und Lu zusammen herumgezogen. Aber heute, jetzt, müsste die kleine, blonde, angehende Tierärztin längst bei ihrer Tante angekommen sein.
Ich starre auf meine lackierten Zehennägel, die auf dem hellen Teppich blutrot aussehen. Alarmierend.
Na ja, Frauke hat nicht ›herumziehen‹ gesagt.
Sie hat ›etwas unternehmen‹ gesagt. Sie hat gesagt, dass Lu und Antonie gemeinsam ›etwas unternehmen‹.
Und wenn ich so recht überlege, hat sie auch nicht explizit erwähnt, dass dieses Wochenende eines sein wird, das sie nicht gemeinsam verbringen werden.
Aber das konnte ich mir schließlich aus den Tatsachen selbst zusammenreimen.
Und dass sie traurig geklungen hat, das habe ich mir ganz sicher nicht eingebildet.
Ohne lange nachzudenken, wähle ich Fraukes Nummer.
Ich werde sie einfach fragen, wie es ihr geht und ein bisschen mit ihr plauschen. So wie gestern.
Vielleicht erzählt sie dann von sich aus, dass Antonie doch nicht nach Marburg gereist ist, sondern gerade im Begriff ist, mit Lu ins Kino zu gehen – natürlich weil Frauke keine Lust dazu hat und lieber ein Buch über die Liebe lesen möchte, allein, versteht sich, und weil das mit Antonie zusammen nicht möglich ist.
Falls Frauke das nicht von allein erwähnen sollte, werde ich ganz nebenbei danach fragen, ob Antonie gut angekommen ist. Es waren ja so viel Staus, habe ich am Radio gehört.
Und falls Frauke dann sagt, ja, danke, ist sie …
Ich finde, es ist meine Pflicht als Freundin, sie darauf hinzuweisen, dass das nicht der Wahrheit entsprechen kann.
Aber aus meinem hehren Vorsatz wird so oder so nichts. Denn Frauke geht nicht ans Telefon.
Ich stammele etwas Sinnloses auf ihren Anrufbeantworter und lege dann abrupt auf.
So, und jetzt setze ich mich hier auf mein Sofa, werfe die Glotze an und warte darauf, dass Lu anruft.
* * *
Egal, welche Serie ich gucke, völlig wurscht, ob Krimi, Schnulze oder Talkshow, nichts lenkt mich wirklich ab.
Was läuft eigentlich aktuell im Kino?
Mir fällt als erstes dieser neue Lesben-Liebesfilm ein. The Message. Den hab ich auch noch nicht gesehen, aber er soll toll sein. Sensibel erzählt. Mit schönen Bildern. Poetisch. Romantisch, aber nicht zu dick aufgetragen. Ein Film eben, bei dem du selbst so richtig in Stimmung kommen kannst, dich zu verlieben.
Das würde natürlich noch viel schneller und leichter gehen, wenn die Person, mit der du im Kino sitzt, fröhlich und lebendig ist, über leuchtende Augen und eine kleine Zahnlücke verfügt, die du selbst ziemlich sexy findest.
Ja, wenn ich ein gemeinsames Wochenende stimmungsmäßig gleich richtig einläuten wollte, würde ich mich auch für The Message entscheiden.
Wohnungsbesichtigungen und Waldspaziergänge sehen dagegen selbstverständlich reichlich blass aus.
Ich weiß nur leider nicht, wo genau der Film jetzt gerade gespielt wird. Armin weiß das bestimmt. Aber als ich ihn anrufen will, fällt mir ein, dass mein Bester wahrscheinlich momentan auf Mallorca seinen ersten Drink an der Hotelbar nimmt, während Rolf neben ihm eine Bin-gut-angekommen-meld-mich-morgen-per-Telefon-vermiss-euch-dein-Bussibär-sms an seine Ehefrau Karin tippt.
Dieser Gedanke trägt nicht dazu bei, meine Stimmung zu heben.
Irgendwann ist es viertel nach elf, und ich kann deutlich sehen, wie der Zeiger meiner Armbanduhr mich zum Narren hält.
Er tut so, als würde er weiterwandern. Ja, aus dem Augenwinkel sieht es manchmal sogar so aus, als würde er mächtige Sprünge machen. Doch wenn ich dann genau hinsehe, erkenne ich, dass er sich kaum vom Fleck bewegt hat.
Soll ich Lu darauf ansprechen?
Eigentlich will ich ja aus einem ganz anderen Grund mit ihr reden. Ich will mich entschuldigen.
Aber ich könnte auch ganz nebenbei fallen lassen, wie traurig Frauke gestern am Telefon klang. Eben weil Antonie gestern schon – am letzten Abend vor einem nicht gemeinsam verbrachten Wochenende – zusammen mit Lu herumgezogen ist. Was würde Frauke jetzt wohl sagen, wenn sie wüsste, dass Antonie gar nicht zu ihrer Tante in
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