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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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marschierte kühn an vorhangverhängten Kabinen vorbei, bis er zu einem Tisch mit einem älteren Schwarzen daran kam, der in einen Computer schaute.
    »Ich suche Dr. Probyn«, sagte er. Und als sich der graue Kopf nicht hob: »Wahrscheinlich macht sie Notfallbehandlung. Oder Ersteinschätzung. Sie hat bis Mitternacht Dienst.«
    Das Gesicht des alten Mannes war von Stammeszeichen durchzackt.
    »Wir geben keine Namen heraus«, sagte er, nachdem er Toby eine Weile begutachtet hatte. »Ersteinschätzung, da gehen Sie nach links, zweite Tür. Notfallbehandlung, da müssen Sie in die Halle zurück und dann den Gang runter, wo Notaufnahme steht.« Und als er Toby sein Handy zücken sah: »Das können Sie vergessen. Kein Empfang hier drin. Draußen könnt’s schon eher gehen.«
    Im Wartebereich der Ersteinschätzung saßen dreißig Menschen, die alle auf dieselbe nackte Wand starrten. Eine streng blickende Frau im langen grünen Kittel mit einem elektronischen Schlüssel um den Hals studierte ein Klemmbrett.
    »Mir wurde gesagt, Dr. Probyn will mich sprechen.«
    »Notfallbehandlung«, sagte sie zu dem Klemmbrett.
    Unter trübseligen weißen Neonröhren starrten Dutzende von Patienten auf eine Tür, auf der AUFNAHME stand. Toby zog eine Nummer und wartete mit ihnen. In einem Kasten leuchtete die Nummer des Patienten auf, der gerade an der Reihe war. Manche waren fünf Minuten drin, andere nicht einmal eine. Plötzlich war er der Nächste, und Emily, ihr braunes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, sah ihn über den Tisch hinweg an.
    Sie ist Ärztin, hatte er sich seit dem frühen Nachmittag immer wieder tröstend vorgesagt. Sie ist abgehärtet. Sieht den Tod jeden Tag.
    »Jeb hat am Tag, bevor er bei Ihren Eltern erwartet wurde, Selbstmord begangen«, beginnt er ohne Umschweife. »Sich mit einer Pistole in den Kopf geschossen.« Und als sie nichts sagt: »Wo können wir reden?«
    Ihr Ausdruck verändert sich nicht, friert nur gleichsam ein. Sie hebt die gefalteten Hände ans Gesicht, presst die Daumenknöchel gegen die Zähne. Dann hat sie sich wieder in der Gewalt.
    »Offenbar habe ich ihn völlig falsch eingeschätzt«, sagt sie. »Ich habe ihn als Gefahr für meinen Vater gesehen. Dabei war er nur eine Gefahr für sich selbst.«
    Und Toby denkt: Und ich habe dich völlig falsch eingeschätzt.
    »Weiß man, warum er sich umgebracht hat?« Sie sucht nach Abstand, findet ihn nicht.
    »Es gab keinen Abschiedsbrief, keinen letzten Anruf«, erwidert Toby, ebenfalls mit weniger Abstand, als ihm lieb ist. »Und auch niemanden, dem er sich anvertraut hat, soviel seine Frau weiß.«
    »Dann war er also verheiratet. Die Ärmste« – nun endlich wieder die beherrschte Ärztin.
    »Eine Frau und ein kleiner Sohn. Die letzten drei Jahre konnte er nicht mit ihnen leben und nicht ohne sie. Sagt sie.«
    »Und keinerlei Abschiedsbrief.«
    »Anscheinend nicht.«
    »Keine Schuldzuweisung an irgendwen. An die gemeine Welt, die sich gegen ihn verschworen hat. Er hat sich nur erschossen. Einfach so.«
    »Hmm.«
    »Und das einen Tag, bevor er sich mit meinem Vater zusammensetzen wollte, um die Bombe platzen zu lassen.«
    »So sieht es aus.«
    »Sehr logisch ist das nicht.«
    »Nein.«
    »Weiß mein Vater es schon?«
    »Nicht von mir.«
    »Warten Sie bitte draußen auf mich.«
    Sie drückt den Knopf für den nächsten Patienten.
    ***
    Sie hielten bewusst Distanz zueinander beim Gehen, wie zwei Menschen, die sich gestritten haben und auf eine Gelegenheit zur Aussöhnung warten. Als sie schließlich sprach, war ihr Ton unwillig:
    »Wurde auch überregional darüber berichtet? In der Presse? Im Fernsehen?«
    »Nur in der Lokalzeitung und im Evening Standard , soweit ich weiß.«
    »Aber es könnte noch passieren?«
    »Möglich ist es.«
    »Kit hat die Times abonniert.« Und, nachgeschoben: »Und meine Mutter hört viel Radio.«
    Durch eine Pforte, die abgeschlossen hätte sein sollen, es aber nicht war, kamen sie in ein struppiges Stück Park. Ein paar Jugendliche mit Hunden hockten unter einem Baum und ließen einen Joint kreisen. Auf einer Verkehrsinsel stand ein langgestreckter Flachbau. GESUNDHEITSZENTRUM , las Toby auf einem Schild. Emily musste die ganze Länge abgehen, um nach eingeschlagenen Scheiben zu fahnden, Toby immer hinter ihr her.
    »Die Kids denken, wir hätten da Drogen drin«, sagte sie. »Komplette Fehlanzeige, aber sie glauben es nicht.«
    Sie hatten die Arbeitersiedlungen des viktorianischen London erreicht. Unter einem

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