Empfindliche Wahrheit (German Edition)
möchten.«
»Möchte ich.«
»Das Problem ist, dass wir ihn nicht übers Festnetz anrufen können. Und Handy oder E-Mail geht erst recht nicht. Das sieht Kit auch so. Er hat es in dem Brief an mich extra betont.«
Er hält inne und wartet auf ihren Einspruch, aber ihr Blick fordert ihn nur stumm zum Weiterreden auf.
»Deshalb wäre mein Vorschlag, dass Sie morgen gleich als Erstes Mrs. Marlow anrufen und sie bitten, zu Ihren Eltern rüberzulaufen und Kit ans Telefon zu holen. Immer vorausgesetzt, Sie möchten ihm die Nachricht selbst beibringen. Sonst könnte ich das natürlich auch übernehmen.«
»Was für eine Lüge erzähle ich ihr?«
»Sagen Sie, im Gutshaus stimmt irgendwas mit der Leitung nicht. Sie kommen nicht durch. Kein Grund zur Panik, aber Sie haben etwas mit Kit zu besprechen. Hier, nehmen Sie besser so eins. Die sind sicherer.«
Sie nimmt den schwarzen Burner und dreht und wendet ihn zwischen ihren langen Fingern, als hätte sie noch nie ein Handy gesehen.
»Wenn das irgendwie hilft, kann ich auch bleiben«, sagt er mit einer Kopfbewegung in Richtung des kärglichen Sofas.
Sie sieht ihn an, sieht auf die Uhr: zwei vorbei. Sie holt eine Daunendecke und ein Kopfkissen aus dem Schlafzimmer.
»Aber nicht, dass Sie frieren«, wendet er ein.
»Keine Angst«, gibt sie zurück.
6
Ein zäher Nebel hatte sich im Tal festgesetzt. Seit zwei Tagen schon vermochte kein Westwind ihn zu vertreiben. Von Rechts wegen hätte Kit durch die ummauerten Bogenfenster der Sattelkammer, die er als Büro benutzte, auf ein Meer junger Blätter blicken müssen. Stattdessen hing da ein schmutzig weißes Leichentuch, vor dem er mit der gleichen Rastlosigkeit, dem gleichen inneren Aufruhr auf und ab wanderte wie vor drei Jahren in seinem verhassten Hotelzimmer in Gibraltar, als er auf den Ruf zu den Waffen gewartet hatte.
Es war halb sieben Uhr morgens, und er trug immer noch die Gummistiefel, mit denen er vorhin durch den Obstgarten ans Telefon der Marlows geeilt war, weil Emily angeblich nicht zum Gutshaus durchkam. Ihr Gespräch, wenn man von einem Gespräch reden konnte, war ihm mehr als präsent, wenn auch losgelöst von jeder zeitlichen Abfolge: teils Benachrichtigung, teils Mahnrede, und jede Silbe ein Messer, das ihm im Leib umgedreht wurde.
Und wie in Gibraltar murmelte er auch jetzt im Stall halblaut vor sich hin: Jeb, Mann, verflixt und zugenäht. Das darf doch nicht wahr sein … Wir hätten’s denen gezeigt … Nur ein Tag noch – all dies durchsetzt mit Verwünschungen wie diese Scheißkerle, diese gottverfluchte Mörderbande und Ähnlichem.
»Tu so als ob, Dad, nicht nur deinetwegen, auch für Mum. Und für Jebs Witwe. Doch bloß ein paar Tage, Dad. Glaub einfach an das, was Jebs Therapeutin dir erzählt hat, auch wenn sie gar nicht seine Therapeutin war. Dad, ich geb dir mal kurz Toby. Er kann das besser erklären als ich.«
Toby? Was zum Teufel macht sie früh um sechs mit diesem hinterfotzigen Schleimer Bell?
»Kit? Ich bin’s, Toby.«
»Wer hat ihn erschossen, Bell?«
»Niemand. Es war Selbstmord. Amtlich bestätigt. Der Coroner hat es unterschrieben, und die Polizei sieht keinen Handlungsbedarf.«
Keinen Handlungsbedarf? Haben die den Arsch offen? Aber das hatte er nicht gesagt. Nicht am Telefon. Überhaupt hatte er nicht das Gefühl, irgendetwas gesagt zu haben außer Ja und Nein und Verstehe .
»Kit?« – wieder Toby.
»Ja. Was gibt’s noch?«
»Sie hatten mir erzählt, dass Sie in Vorbereitung auf Jebs Besuch ein Dokument aufgesetzt haben. Ihre eigene Sicht der Geschehnisse vor drei Jahren plus eine Niederschrift der Unterhaltung in Ihrem Club, die Jeb unterschreiben sollte. Kit?«
»Was soll daran verkehrt sein? Es ist die Wahrheit, von der ersten bis zur letzten Zeile«, gibt Kit zurück.
»Nichts ist verkehrt daran, Kit. Es wird sogar äußerst wertvoll sein, wenn die Zeit für die Demarche reif ist. Aber für die nächsten paar Tage sollten Sie bitte einen sicheren Platz dafür finden. Nicht in einem Safe oder an sonst einem Ort, wo man es vermuten könnte. Auf dem Dachboden von einem der Außengebäude zum Beispiel. Oder vielleicht hat Suzanna eine zündende Idee. Ja, Kit?«
»Ist er schon beerdigt?«
»Eingeäschert.«
»Hatten’s ja offenbar verdammt eilig. Wer macht so was? Das stinkt doch zum Himmel. Schmu und noch mal Schmu!«
»Dad?«
»Ja, Em. Ich bin noch dran. Was denn?«
»Dad? Mach einfach, was Toby sagt. Bitte. Stell jetzt keine Fragen mehr. Bleib ganz
Weitere Kostenlose Bücher