Empfindliche Wahrheit (German Edition)
brauchte, und dazu eine extradicke Plastiktüte, eine Handvoll Aufladebons für die Handys und ein Plastikmodell eines Londoner Beefeaters für seine Sammlung.
Der Beefeater selbst war nicht zwingend nötig. Toby ging es um die Pappschachtel, in der er verpackt war.
***
Seine Wohnung in Islington lag im ersten Stock einer Reihe klassizistischer Häuser, die alle gleich aussahen bis auf die Farbe ihrer Eingangstüren, den Zustand ihrer Fensterrahmen und die Preisklasse der Vorhänge. Der Abend war trocken und ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Toby blieb auf der anderen Straßenseite und schlenderte erst einmal an seinem Haus vorbei, wobei er unauffällig nach den verräterischen Anzeichen Ausschau hielt: dem parkenden Auto mit Insassen, den Passanten, die an der Ecke standen und in ein Handy sprachen, den Männern im Overall, die scheinheilig vor Verteilerkästen knieten. Wie immer hatte seine Straße all dies zu bieten und mehr.
Er wechselte auf seine Seite hinüber, betrat sein Haus, stieg die Treppe zu seiner Wohnungstür hinauf, die er so leise aufschloss, wie er nur konnte, und blieb danach erst einmal stehen. Die Heizung war an, was ihn wunderte, aber dann fiel ihm ein, dass ja Dienstag war, und dienstags kam von drei bis fünf Lula, seine portugiesische Zugehfrau; vielleicht hatte sie es kalt gefunden.
Dennoch wirkte Brigids ungerührte Erwähnung der Profis, die ihr Haus vom Keller bis zum Dach durchsucht hatten, noch in ihm nach, und so schien es nur natürlich, dass ihm alles ein wenig suspekt vorkam, als er nun von Zimmer zu Zimmer ging, nach fremden Gerüchen witterte, Gegenstände anstupste, sich vergeblich zu erinnern versuchte, wie er sie hinterlassen hatte, sinnlos Schranktüren und Schubladen aufzog. Von seinen Sicherheitsschulungen wusste er, dass professionelle Hausdurchsucher sich bei der Suche filmen, um sicherzugehen, dass sie alles an seinen Platz zurücklegen, und er stellte sich vor, wie sie das hier drin machten.
Aber erst als er zu dem USB -Stick kam, den er vor drei Jahren hinter das Hochzeitsfoto seiner Großeltern mütterlicherseits geklebt hatte, überlief es ihn richtig. Das Bild hing, wo es immer gehangen hatte: im Wurmfortsatz des Korridors zwischen Diele und Toilette. Sooft er im Lauf der Jahre daran gedacht hatte, einen neuen Ort dafür zu suchen, war ihm keine Ecke eingefallen, die dunkler oder weniger augenfällig gewesen wäre, und so blieb der Stick, wo er war.
Und da war er auch jetzt noch, mehrfach mit dickem Klebeband umwickelt, und nichts wies darauf hin, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte. Allerdings war das Glas über dem Bild abgestaubt worden, und dergleichen war Lula bisher nicht im Traum eingefallen. Wobei nicht nur das Glas staubfrei war, sondern auch der Rahmen. Und nicht nur der Rahmen selbst, sondern auch seine Oberkante, wo der Arm der winzigen Lula nie und nimmer hinaufreichte.
Konnte sie auf einen Stuhl geklettert sein? Lula? War sie, allen Erfahrungswerten zum Trotz, von einem plötzlichen Großreinemach-Drang gepackt worden? Er war drauf und dran, sie anzurufen – und fasste sich dann ans Hirn: welche Paranoia! Lula war ja verreist, wie konnte er das vergessen haben? Sie war spontan verreist, und ihre unendlich tüchtigere Freundin Tina, die für sie einsprang, maß stattliche eins achtundsiebzig!
Immer noch kopfschüttelnd über sich machte er endlich das, was er eigentlich hatte tun wollen, bevor sein Verfolgungswahn mit ihm durchgegangen war. Er entfernte das Klebeband und nahm den USB -Stick mit ins Wohnzimmer.
***
Der Computer war und blieb eine Sorge. Er wusste – immer wieder war ihnen das eingetrichtert worden –, dass kein Computer je ein sicheres Versteck sein kann. Wie tief man seinen geheimen Schatz auch versenkt zu haben glaubte, im Ernstfall war es nur eine Frage der Zeit, bis ein heutiger Spezialist ihn hob. Wenn er andererseits die alte Festplatte gegen die neue, in Cardiff gekaufte austauschte, barg das auch seine Risiken, denn wie rechtfertigte man das Vorhandensein einer nagelneuen, gähnend leeren Festplatte? Aber jede Rechtfertigung, egal wie fadenscheinig, würde ungleich besser klingen als die Stimmen von Fergus Quinn, Jeb Owens und Kit Probyn auf diesem drei Jahre alten Mitschnitt, Tage oder auch nur Stunden vor dem Anpfiff der desaströsen Operation Wildlife.
Als Erstes also die versteckte Datei aufrufen. Toby rief sie auf. Sie sodann auf zwei getrennte USB -Sticks kopieren. Toby kopierte. Als
Weitere Kostenlose Bücher