Empfindliche Wahrheit (German Edition)
unverbauten Sternenhimmel zogen sich Reihen kleiner Doppelhäuser aus Backstein, jedes mit überdimensionalem Schornsteinaufsatz, jedes mit einem in der Mitte geteilten Vorgärtchen. Sie klinkte ein Gartentor auf. Eine Außentreppe führte zu einer Veranda im ersten Stock hoch. Sie stieg sie hinauf. Er folgte ihr. Im Licht der Verandalampe erblickte er eine hässliche graue Katze, der eine Vorderpfote fehlte. Sie rieb sich an Emilys Bein, als Emily aufsperrte, und schoss dann vor ihr hinein. Emily trat über die Schwelle, wartete.
»Im Kühlschrank ist Essen, falls Sie hungrig sind«, sagte sie, indem sie in den Nebenraum verschwand, das Schlafzimmer wohl. Und während sie die Tür zumachte: »Diese blöde Katze denkt, ich bin Tierarzt.«
***
Mit dem Kopf in den Händen sitzt sie da und starrt auf das unberührte Essen vor ihr auf dem Tisch. Das Zimmer ist spartanisch bis zur Selbstverleugnung: spärliche Küchenzeile an einem Ende, zwei alte Holzstühle, ein durchgesessenes Sofa und der Kieferntisch, an dem sie auch arbeitet. Eine Handvoll medizinische Bücher, ein Stoß afrikanischer Zeitschriften. Und an der Wand ein Foto von Kit im vollen Diplomatenornat, wie er einer wohlbeleibten karibischen Staatspräsidentin seine Urkunde vorlegt, während Suzanna mit einem großen weißen Hut auf dem Kopf danebensteht und zusieht.
»Haben Sie das geknipst?«, fragt er.
»Guter Gott, nein. Das war der Hoffotograf.«
Im Kühlschrank hat er ein Stück Gouda und Tomaten gefunden, im Gefrierfach vorgeschnittenes Brot, von dem er ein paar Scheiben getoastet hat. Auch eine gut halbvolle Flasche abgestandenen Rioja gibt es, den er mit ihrer Erlaubnis auf zwei grüne Wassergläser verteilt hat. Sie hat einen unförmigen Hausmantel und flache Slipper angezogen, aber den Pferdeschwanz behalten. Der Hausmantel ist bis zu den Knöcheln hinunter geknöpft. Es erstaunt Toby, wie groß sie auch mit flachen Schuhen noch ist. Und was für einen königlichen Gang sie hat. Und ihre Bewegungen – auf den ersten Blick wirken sie ungelenk, aber eigentlich, wenn man nur richtig hinschaut, sind sie elegant.
»Aber diese Ärztin, die keine ist?«, fragt sie. »Die bei Kit angerufen und behauptet hat, Jeb wäre am Leben, obwohl er längst tot war? Das würde die Polizei nicht hellhörig machen?«
»In ihrer derzeitigen Stimmung nicht, nein.«
»Besteht bei Kit auch Selbstmordgefahr?«
»Nicht die geringste«, beantwortet er resolut die Frage, die auch ihn seit dem Abschied von Brigid beschäftigt.
»Und weshalb nicht?«
»Weil er, solange er die Geschichte dieser angeblichen Ärztin schluckt, keine Bedrohung darstellt. Nur das sollte der Anruf ja bezwecken. Also lassen wir sie um Gottes willen glauben, sie hätten ihr Ziel erreicht – wer immer sie sein mögen.«
»Aber Kit hat sie nicht geschluckt!«
Das Thema hatten sie schon, doch Toby wird nicht müde, es ihr immer wieder neu zu erklären:
»Und hat das laut und deutlich kundgetan, gottlob nur seinen Nächsten und Liebsten und mir. Aber am Telefon hat er das Spiel mitgespielt, und er muss es noch ein bisschen länger mitspielen. Es geht einfach darum, Zeit zu schinden. Sich noch ein paar Tage bedeckt zu halten.«
»Und dann was?«
»Ich bin an der Sache dran«, sagt Toby forscher, als er sich fühlt. »Einige Puzzleteile habe ich schon beisammen, und ich bin weiteren auf der Spur. Jebs Witwe hat Fotos, die nützlich sein könnten. Sie hat mir außerdem den Namen eines Mannes genannt, der uns eventuell weiterhelfen kann. Ich treffe mich mit ihm. Jemand, der Teil des ursprünglichen Problems war.«
»Sind Sie auch Teil des ursprünglichen Problems?«
»Nein. Nur ein schuldiger Zuschauer.«
»Und wenn Sie Ihr Puzzle vervollständigt haben, was werden Sie dann sein?«
»Höchstwahrscheinlich arbeitslos«, sagt er und streckt impulsiv die Hand nach der Katze aus, die schon die ganze Zeit zu Emilys Füßen sitzt, aber sie straft ihn mit Nichtachtung.
»Wann steht Ihr Vater morgens auf?«, fragt er.
»Kit? Früh. Meine Mutter schläft länger.«
»Und wie früh ist ›früh‹?«
»Gegen sechs.«
»Und die Marlows?«
»Oh, die stehen mit den Hühnern auf. Jack melkt bei den Philips.«
»Und wie lange geht man vom Gutshaus bis zu den Marlows?«
»Zwei Minuten. Es ist das alte Verwalterhäuschen. Warum?«
»Ich denke, Kit sollte so bald wie nur möglich von Jebs Tod erfahren.«
»Bevor er es anderswo hört und irgendeine Scheiße baut?«
»Wenn Sie es so formulieren
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