Empfindliche Wahrheit (German Edition)
zumindest nicht, bis man Sie verurteilt hat – wieder rein hypothetisch gesprochen natürlich. Es wäre eine Art Geschworenengericht, das schon, aber die Geschworenen müssten im Vorfeld von den Sicherheitsbehörden auf Herz und Nieren überprüft werden, was Ihre Chancen natürlich nicht unbedingt verbessern würde. Und Sie , Sie persönlich , bekämen zwar Einsicht in das Belastungsmaterial gegen Sie – in groben Zügen wenigstens –, aber Ihren Angehörigen dürften Sie nichts davon sagen, fürchte ich. Ach, und Angriff wäre in diesem Fall absolut gar keine gute Verteidigung, da Informantentum – völlig zu Recht, wenn Sie mich fragen – per definitionem ein Risikogeschäft ist. Ich gehe hier ganz bewusst in die Vollen, Kit. Frances und ich sind beide der Meinung, dass wir Ihnen das schuldig sind, nicht wahr, Frances?«
»Er ist tot«, flüsterte Kit unzusammenhängend. Und dann noch einmal, für den Fall, er könnte es nur gedacht haben: »Jeb ist tot .«
»Allerdings, höchst bedauerlicherweise«, bestätigte Frances, ihr erstes Zugeständnis an Kit. »Wenn auch vielleicht nicht auf die Art, die Sie zu suggerieren versuchen. Ein kranker Soldat tötet sich mit der eigenen Waffe. Leider ein Vorgehen, das immer verbreiteter wird. Die Polizei sieht keinen Grund, daran zu zweifeln, und wer sind wir, dass wir ihr Urteil in Frage stellen würden? Ihr Dokument verbleibt derweil bei unseren Akten, wo wir es hoffentlich nie gegen Sie werden verwenden müssen. Das sehen Sie ja sicherlich auch so.«
***
Am Fuß der breiten Treppe wirkt Kit kurzfristig desorientiert, doch zum Glück ist Lancaster zur Stelle, um ihn zum Ausgang zu geleiten.
»Wie war gleich wieder Ihr Name, mein lieber Junge?«, fragt Kit, als sie sich die Hand geben.
»Lancaster, Sir.«
»Sie waren sehr freundlich«, sagt Kit.
***
Die Nachricht, dass Kit Probyn im Raucherzimmer seines Clubs in Pall Mall gesichtet worden war – per SMS von Emily übermittelt, die es wiederum von ihrer Mutter wusste –, erreichte Toby, als er gerade an dem langen Tisch im Besprechungszimmer im dritten Stock Platz nahm, um das Pro und Kontra von Gesprächen mit einer libyschen Rebellengruppe zu erörtern. Mit welcher Entschuldigung er aufsprang und aus dem Zimmer eilte, hätte er im Nachhinein nicht sagen können. Er erinnerte sich nur, dass er den silbernen Burner mangels Alternativen vor aller Augen aus der Tasche gezogen, die SMS gelesen, »O mein Gott, entschuldigen Sie bitte«, gemurmelt hatte und dazu vermutlich etwas über einen Sterbefall, wie es Jebs Tod ja auch nahelegte.
Er erinnerte sich an seinen Sprint die Treppe hinunter, vorbei an einer chinesischen Delegation, die die Stufen gerade heraufkam, und dann an seinen Weg die knappe Dreiviertelmeile vom Ministerium bis nach Pall Mall, halb gehend, halb rennend, während er fieberhaft auf Emily einredete, die ihre Sprechstunde für den Rest des Nachmittags hatte sausen lassen und schon in der U-Bahn zum St. James’s Park saß. Der Sekretär des Clubs, hatte sie vor dem Abtauchen in den Untergrund noch berichtet, hatte zumindest sein Versprechen gehalten und Suzanna umgehend von Kits Erscheinen in Kenntnis gesetzt, wenn auch nicht mit der Zuvorkommenheit, die ihm angestanden hätte.
»Er hat Dad klingen lassen wie einen Verbrecher auf der Flucht, sagt sie. Anscheinend war die Polizei heute Nachmittag dort und hat alle möglichen Fragen über ihn gestellt. ›Erweiterte Fahndung‹ oder so haben sie es genannt. Wie viel er trinkt, wollten sie wissen, und ob er einen Mann bei sich im Zimmer gehabt hätte, als er neulich im Club übernachtet hat, ist das zu fassen? Und ob er den Nachtportier bestochen hätte, damit der sie mit Essen und Trinken versorgt – was macht er aber auch für einen Quatsch?«
Noch ganz außer Atem, den silbernen Burner am Ohr, nahm Toby die vereinbarte Position neben den acht Steinstufen ein, die zu dem majestätischen Portal von Kits Club emporführten. Und da flog sie ihm auch schon entgegen – Emily, wie er sie noch nie gesehen hatte: die Läuferin, die Windsbraut, mit wehendem Regenmantel, ihr dunkles Haar flatternd vor dem schiefergrauen Himmel.
Sie eilten die Stufen hinauf, Toby voran. Das Vestibül war düster und roch nach Kohl. Der Sekretär war lang und vertrocknet.
»Ihr Vater hat sich in die Long Library zurückgezogen«, teilte er Emily in einem trüben Näselton mit. »Kein Zutritt für Damen, bedaure. Sie dürfen sich unten aufhalten, aber erst ab 18 . 30
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