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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Sicherheitsabteilung gibt grünes Licht. Das grüne Licht wird widerwillig erteilt. Die Kantine wird einen Eiskübel und Pfeffer bereitstellen. Erst als all dies vollbracht ist, darf das übrige Personal nach Hause gehen.
    Toby, allein an seinem Schreibtisch, versucht zu arbeiten. Um 18 . 35 Uhr geht er hinunter in die Kantine. Um 18 . 40 Uhr ist er wieder oben im Vorzimmer und belegt Knäckebrote mit Foie gras und Lachspastete. Um 18 . 55 Uhr kommt der Minister aus seinem Büro, inspiziert die Vorkehrungen, erklärt sich zufrieden und nimmt an der Vorzimmertür Aufstellung. Toby postiert sich links hinter ihm, so dass die rechte Hand des Ministers frei zum Händeschütteln ist.
    »Er wird pünktlich auf die Minute sein. Das ist er immer«, verspricht Quinn. »Und sie auch, die Gute. Sie mag ihre Marotten haben, aber da sind sie aus demselben Holz geschnitzt.«
    Und wirklich erklingen in dem Moment, als Big Ben zu schlagen beginnt, draußen auf dem Flur Schritte, zwei Paar, ruhig und fest das eine, das andere leicht und unstet. Eine Frau, die sich bemüht, mit einem Mann mitzuhalten. Pünktlich mit dem letzten Glockenschlag klopft es gebieterisch an der Vorzimmertür. Toby will öffnen, ist jedoch nicht schnell genug. Die Tür wird aufgestoßen, und herein kommt Jay Crispin.
    Toby erkennt ihn sofort, ohne eine Sekunde des Zweifels; es hat fast etwas Antiklimaktisches. Hier steht er also endlich in natura vor ihm: Jay Crispin, der einen totgeschwiegenen Skandal im Verteidigungsministerium auf dem Gewissen hat und nie mehr den Fuß in ein Ministeriums- oder Regierungsgebäude setzen darf; Jay Crispin, der Quinn aus der Halle seines Grandhotels in Brüssel entführt hat, der auf ihrem Weg ins Pomme du Paradis auf dem Beifahrersitz des Citroën Sedan saß, der mit Quinn in seiner Minister-Suite frühstücken durfte und von einem Prager Stehpult aus seine Reden geschwungen hat: kein Geist, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut. Einfach ein schlanker, glattgesichtiger, etwas zu hübscher Mann ohne jede Tiefe, ein Mann, kurz gesagt, den man mit einem Blick durchschaut – warum also durchschaut Quinn ihn nicht?
    Und an Crispins linkem Arm hängend, die reichgeschmückte Klauenhand in seine Armbeuge gehakt, trippelt ein winziges Dämchen in rosa Chiffonkleid und dazu passendem Hut, an den Füßen hochhackige Sandaletten mit Strassspangen. Ihr Alter? Kommt darauf an, über welche Körperteile wir sprechen, Monsieur.
    Quinn ergreift ehrfürchtig ihre Hand und beugt seinen breiten Boxerschädel in einem plumpen Diener darüber. Quinn und Crispin dagegen, das sind zwei wie Pech und Schwefel, siehe den markigen Händedruck, das sportive Schulterklopfen der Jay-und-Fergus-Show.
    Und nun ist die Reihe an Toby. Quinn, überschwenglich:
    »Maisie, gestatten Sie mir, Ihnen meine Perle vorzustellen: mein persönlicher Referent, Toby Bell . Tobe, vor Ihnen steht Mrs. Spencer Hardy aus Houston, Texas, der internationalen Elite besser bekannt als die unvergleichliche Miss Maisie .«
    Der Hauch einer Berührung streift Tobys Handfläche. Ein gemurmeltes »Oh, hi, Mr. Bell«, jeder Zoll tiefster Süden, wird gefolgt von einem neckischen: »Dass Sie’s wissen, Fergus, ich bin die einzige belle hier!« – worüber sich alle totlachen wollen, Toby brav mit.
    »Und dieser Gentleman, Tobe, ist mein alter Freund Jay Crispin. Alter Freund seit – Gott, wann denn, Jay?«
    »Freut mich, Toby«, näselt Crispin mit einem Upperclass-Akzent der besten Sorte, umfasst kumpelhaft Tobys Hand und behält sie in der seinen, und der feste Blick, mit dem er ihm dabei in die Augen schaut, besagt: Männer wie wir regieren die Welt.
    »Ganz meinerseits« – unter bewusster Auslassung des Sir .
    »Und was sind wir gleich wieder?« – er hält Tobys Hand immer noch.
    »Er ist mein persönlicher Referent, Jay, das hab ich dir doch erzählt. Mir mit Leib und Seele verbunden, immer fleißig und unverdrossen. Stimmt’s, Tobe?«
    »Wir sind neu hier, kann das sein, Toby?« – indem er die Hand endlich loslässt, das »wir« aber jovial beibehält.
    »Drei Monate« – wieder der Minister, ganz aufgekratzt. »Wir sind Zwillinge. Stimmt’s, Tobe?«
    »Und vorher waren wir wo , darf man das fragen?« Crispins Stimme ist so weich wie eine Katzenpfote und auch ungefähr so vertrauenswürdig.
    »Berlin. Madrid. Kairo«, sagt Toby betont wurstig; den Teufel wird er tun und irgendwelche Duftmarken setzen! »Wo ich eben hingeschickt werde« – und vielleicht rückst du

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