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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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verstehen gegeben, geht ihn nichts an. Und das Außenministerium besitzt viele Schreckenskammern eigens für Querulanten und Whistleblower.
    Unterdessen mehren sich rings um ihn die Omen fast stündlich. Dass dies Crispins Werk ist, kann er nur vermuten, aber warum sonst behandelt der Minister ihn so fühlbar kühler? Wenn er Quinns Büro betritt oder es verlässt, hat dieser kaum mehr ein Nicken für ihn übrig. Er nennt ihn nicht mehr Tobe, sondern Toby, eine Neuerung, die Toby vormals begrüßt hätte. Nicht jetzt. Nicht, seit er es verabsäumt hat, seine Duftmarke zu setzen und an Bord eines hochgeheimen Schiffs gebeten zu werden. Anrufe von den hohen Herren in Whitehall, die bisher gewohnheitsmäßig über den persönlichen Referenten liefen, kommen nun vermittels einer der vielen neu installierten Direktleitungen beim Minister selbst heraus. Zusätzlich zu den hochgeheimen Depeschenkassetten aus der Downing Street, die niemand außer Quinn selbst anfassen darf, treffen jetzt auch versiegelte schwarze Behälter von der amerikanischen Botschaft ein. Über Nacht taucht in Quinns Büro ein extrasicherer Tresor auf. Der Minister allein kennt die Kombination.
    Und wenn sich Quinn am Wochenende im Dienstwagen in sein Landhaus fahren lässt, ist es absolut nicht nötig, dass Toby ihm seinen Aktenkoffer mit den wichtigsten Papieren packt. Das besorgt er allein, danke Ihnen, Toby, und hinter verschlossener Tür. Und am Ziel angekommen, umarmt er im Zweifel seine reiche kanadische, von den Imageberatern für nicht öffentlichkeitstauglich erklärte Alkoholiker-Gattin, tätschelt seinen Hund und seine Tochter und gibt sich dann, auch hier hinter verschlossener Tür, wieder seiner geheimen Lektüre hin.
    Es erscheint daher wie ein Akt der Vorsehung, als Giles Oakley, der spät enttarnte Verfasser einer gegen den Irakeinsatz gerichteten Petition an den Außenminister, Toby auf seinem BlackBerry anruft und ihn für den Abend zum Essen einlädt.
    »Burg Oakley, Viertel vor acht. Kleidung egal, Hauptsache, Sie bleiben nachher noch zum Calvados. Ja oder ja?«
    Ja, Giles. Ja, auch wenn damit gleich der nächste Theaterbesuch flöten geht.
    ***
    Britische Diplomaten, die nach langen Auslandsjahren in die Heimat zurückberufen werden, gestalten ihre Häuser gern als kleine Bastionen des Fremdländischen, und Giles und Hermione bilden da keine Ausnahme. Burg Oakley, wie Giles sie herausfordernd getauft hat, ist eine weitläufige Zwanziger-Jahre-Villa am Rand von Highgate, gleicht aber aufs Haar ihrer Residenz in Grunewald. Außen das gleiche imposante Tor, die gleiche makellos bekieste Einfahrt ohne ein Hälmchen Unkraut; innen die gleichen verkratzten Chippendale-Möbel, schweren Teppiche und portugiesischen Caterer.
    Zu Tobys Mitgästen zählen ein deutscher Botschaftsrat und seine Frau, der schwedische Botschafter in der Ukraine, der zufällig gerade im Lande ist, und eine französische Pianistin namens Fifi mit ihrem Geliebten, Jacques. Fifi, die eine Passion für Alpacas hat, bestreitet den ganzen Abend mit Alpaca-Geschichten. Alpacas sind die diskretesten Geschöpfe unter der Sonne. Sogar fortpflanzen können sie sich, ohne dass man etwas davon merkt. Sie rät Hermione, sich auch ein Paar zuzulegen. Hermione sagt, dann würde sie nur neidisch.
    Nach dem Essen beordert Hermione Toby zu sich in die Küche, vorgeblich, damit er ihr beim Kaffee hilft. Sie ist eine exzentrische, grazile Irin, die in gehauchten, verschwörerischen Satzfragmenten spricht und dazu die braunen Augen funkeln lässt.
    »Diese Isabel, mit der Sie’s treiben« – sie steckt einen Zeigefinger zwischen seinen Hemdknöpfen hindurch und kitzelt mit dem lackierten Fingernagel ganz zart seine Brusthaare.
    »Was ist mit ihr?«
    »Ist sie verheiratet wie dieses holländische Flittchen, das Sie in Berlin gebumst haben?«
    »Isabel und ihr Mann sind schon seit Monaten getrennt.«
    »Wieder eine Blondine?«
    »Sie ist blond, ja.«
    »Ich bin auch blond. War Ihre Mutter rein zufällig blond?«
    »Ich bitte Sie, Hermione!«
    »Sie halten sich ja nur deshalb an die Verheirateten, weil Sie sie zurückgeben können, wenn Sie mit ihnen durch sind. Das ist Ihnen klar, oder?«
    Nichts ist ihm klar. Will sie ihm damit sagen, dass er sie auch ausborgen und an Oakley zurückgeben kann, wenn er mit ihr durch ist? Gott bewahre.
    Oder – ein Gedanke, der ihm erst jetzt kam, während er in seinem Straßencafé in Soho saß und blicklos auf die Passanten starrte – wollte sie

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