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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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einem Bein im Gefängnis. Geh nach rechts, Richtung Islington, und eine wunderbare leere Wohnung wartet auf dich. Aber er hatte sich schon umgewandt und ging durch die Morgensonne zielstrebig in Richtung Whitehall.
    »Schon wieder da, Mr. Bell? Sind das vielleicht Sklaventreiber!«, rief der alte Wachmann, der immer zu einem Schwatz aufgelegt war.
    Aber die Jüngeren fixierten nur finster ihre Monitore.
    Die Mahagonitür war zu, aber was hieß das schon. Vielleicht hatte sich Quinn in aller Herrgottsfrühe hergestohlen, vielleicht hatte er die ganze Nacht da drin Kriegsrat gehalten, mit Jay Crispin, Roy Stormont-Taylor und dem Klassikfan Brad.
    Er schlug an die Tür, rief »Herr Minister?« – klopfte noch einmal. Keine Antwort.
    Er trat an den Schreibtisch, ruckelte die unterste Schublade auf und sah zu seinem Entsetzen in ein glühendes Lichtauge. Grundgütiger, wenn das jemand bemerkt hätte!
    Er spulte das Band zurück, nahm es aus seinem Gehäuse, verstaute Schalter und Startuhr an ihrem früheren Platz. Mit dem Band unterm Arm machte er sich auf den Heimweg, nicht ohne ein leutseliges Winken für den alten Wachmann und ein autoritäres Nicken an die Adresse der Jüngeren: Na, ihr kleinen Pisser!
    ***
    Nur wenige Minuten sind vergangen, aber über Toby hat sich schlafesähnliche Ruhe herabgesenkt, und ein Weilchen steht alles in ihm still, und die Welt dreht sich ohne ihn weiter. Er findet sich in der Tottenham Court Road wieder, wo er Schaufenster voll gebrauchter Elektrowaren betrachtet und zu ergründen versucht, in welchem dieser Läden ein mitteljunger Mann mit weiter schwarzer Jacke und Khakihose, der ein riesiges schrottreifes Tonbandgerät in bar bezahlt, wohl am wenigsten auffallen wird.
    Und unterwegs muss er bei einem Bankautomaten gewesen sein und sich den Observer von heute gekauft haben, zusammen mit einer Plastiktüte mit Union Jack darauf, denn das Tonband steckt in der Tüte, zwischen die Seiten der Zeitung geschmiegt.
    Und allem Anschein nach war er schon in zwei, drei anderen Geschäften, ehe er bei Aziz fündig wird, Aziz mit dem Bruder in Hamburg, der sein Geld damit verdient, ausrangierte Elektroware containerweise nach Lagos zu verschiffen. Alte Kühlschränke, Computer und überdimensionale schrottreife Tonbandgeräte: Aziz’ Bruder kann gar nicht genug davon haben, weshalb sich in Aziz’ Hinterzimmer dieser Haufen von altem Zeugs türmt, das sein Bruder demnächst abholen kommt.
    Und so wird Toby durch ein wundersames Zusammenwirken von Glück und Hartnäckigkeit stolzer Besitzer eines Tonbandgeräts, das dem Fossil in seiner Schreibtischschublade aufs Haar gleicht, nur dass es von einem eleganten Perlgrau ist und in seiner Originalverpackung steckt, was es, wie Aziz bedauernd erklärt, zu einem Sammlerstück und damit zehn Pfund teurer macht, plus leider noch mal sechzehn Pfund für den Adapter, wenn Sie das Ding irgendwo laufen lassen wollen.
    Als Toby seine Beute zur Ladentür hinauswuchtete, sprach ihn eine bekümmerte alte Frau an, die ihre Buskarte nicht mehr fand. Da er kein Kleingeld hatte, verblüffte er sie mit einem Fünf-Pfund-Schein.
    Auf seiner Türschwelle blieb er wie erstarrt stehen: Isabels Parfum. Die Schlafzimmertür stand einen Spalt offen. Nervös stieß er sie ganz auf, dann die Tür zum Bad.
    Alles gut. Es ist nur ihr Duft. Uff. Glück gehabt.
    Er versuchte das Tonbandgerät auf dem Küchentisch aufzubauen, aber die Schnur war zu kurz, er musste erst ein Verlängerungskabel im Wohnzimmer ausstecken.
    Knarzend und fiepend begann das schicksalhafte Hebbel’sche Rad sich zu drehen.
    ***
    Ich sag dir, was du bist. Eine richtige kleine Diva bist du.
    Kein Vorspann, kein Titel. Keine sanfte Eingangsmusik. Nur die selbstgerechte Stimme des Ministers mit ihrer unwidersprochenen Anschuldigung, zu der die Sohlen seiner Wildlederstiefel, von Lobb maßgeschneidert für einen Tausender pro Fuß, auf seinem Weg durchs Büro den Takt schlagen. Jetzt steht er vermutlich am Schreibtisch.
    Starallüren, dass es der Sau graust. Weißt du überhaupt, was das heißt, Allüren? Nein, weißt du nicht. Weil du völlig unbeleckt bist, weil du brunzdumm bist, deshalb.
    Mit wem zum Henker redet er da? Bin ich zu spät gekommen? Habe ich die Zeit falsch eingestellt?
    Oder gilt die Gardinenpredigt Pippa, Quinns Jack-Russell-Hündin, einem Wahlkampf-Accessoire, das er manchmal mitbringt, um die Mädels zu erfreuen?
    Vielleicht hat er ja auch vor seinem vergoldeten Spiegel haltgemacht und

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