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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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unterzieht sich dem New-Labour-Spiegel-Test, den er sich mit einem Monolog versüßt.
    Einleitendes Räuspern der Ministerkehle. Quinn räuspert sich vor jeder Besprechung ausgiebig, worauf er sich bei offener Toilettentür den Mund mit Listerine spült. Offenbar erhält die Diva – wer auch immer sie ist – ihre Standpauke in absentia und höchstwahrscheinlich vor dem Spiegel.
    Leder ächzt, als er in seinem Chefsessel Platz nimmt, der noch am Tag von Quinns Amtsantritt bei Harrods bestellt werden musste, zusammen mit einem neuen blauen Teppichboden und einer Batterie verschlüsselter Telefone.
    Undefinierbare schabende Geräusche aus der Schreibtischgegend. Vermutlich rückt er die vier leeren roten Depeschenkassetten hin und her, die immer an seinem Ellbogen zu stehen haben, anders als die vollen, die Toby nicht anrühren darf.
    Tja. Na dann. Zu gütig von Ihnen, dass Sie sich herbemüht haben. Tut mir leid wegen dem versauten Wochenende. Meins ist übrigens auch versaut, aber das geht Ihnen ja am Arsch vorbei, oder? Wie läuft’s so? Die werte Gattin gesund und munter? Schön, schön. Und die Blagen auch? Geben Sie ihnen einen Tritt in den Hintern von mir.
    Schritte nähern sich, werden lauter. Partei Nummer eins ist im Anmarsch.
    Die Schritte sind zu dem unbesetzten, unverschlossenen Seiteneingang hereingekommen, haben unüberwachte Korridore durchmessen, Stufen erklommen, ohne Pinkelpause, Bummeln, Rennen: genau wie Toby gestern in seiner Eigenschaft als Versuchskaninchen. Jetzt nähern sie sich dem Vorzimmer. Ein Paar nur. Harte Sohlen. Gemessen, nicht verstohlen. Das sind keine jungen Füße.
    Und es sind nicht die von Crispin. Crispin marschiert. Dies sind friedliche Füße. Es sind Füße, die sich Zeit lassen, Männerfüße, und – woher Toby die Gewissheit nimmt, weiß er selbst nicht – sie gehören einem Fremden. Der Besitzer dieser Füße ist jemand, den er nicht kennt.
    An der Tür zum Vorzimmer ein Zögern, aber kein Klopfen. Diese Füße sind angewiesen, nicht zu klopfen. Sie durchqueren das Vorzimmer, gehen – Hilfe! – ganz dicht an Tobys Schreibtisch vorbei, in dem sich das Tonbandgerät mit seinem glimmenden Lichtauge dreht.
    Hören es die Füße? Anscheinend nicht. Und wenn doch, denken sie sich nichts dabei.
    Die Füße setzen ihren Weg fort. Die Füße betreten das Allerheiligste, wiederum ohne anzuklopfen, auch dies vermutlich weisungsgemäß. Toby wartet auf das Lederknarzen des Chefsessels, hört aber nichts. Ein furchtbarer Gedanke wandelt ihn an: Was ist, wenn der Besucher, wie Kulturattaché Hester, seine eigene Musik mitgebracht hat?
    Mit pochendem Herzen lauscht er. Keine Musik, nur Quinns saloppe Stimme:
    »Niemand hat Sie aufgehalten? Ihnen Fragen gestellt? Sie sonst irgendwie behelligt?«
    Da spricht Minister zu Untergebenem, und sie kennen sich bereits. Minister zu Toby, an einem schlechten Tag.
    »Keinerlei Misshelligkeiten oder sonstige Hürden, Herr Minister. Lief alles wie am Schnürchen. Wieder ein Durchgang fehlerfrei absolviert.«
    Wieder einer? Wann war der letzte fehlerfreie Durchgang? Sind wir hier beim Springreiten? Toby bleibt keine Zeit, darüber zu brüten.
    »Tut mir leid, dass ich Ihnen das Wochenende verdorben habe« – Quinns immergleicher Refrain. »Nicht meine Idee, das können Sie mir glauben. Unser heldischer Freund hat plötzlich Lampenfieber gekriegt.«
    »Keine Bange, Herr Minister, es macht überhaupt nichts. Ich hätte sonst meinen Dachboden ausräumen müssen, vor diesem Schicksal haben Sie mich jetzt glücklich bewahrt.«
    Humor. Kommt nicht gut.
    »Aber Sie haben Elliot getroffen. Das hat geklappt. Er hat Ihnen alles gesagt. Ja?«
    »Was Elliot mir sagen konnte, Herr Minister, wird er mir zweifellos gesagt haben.«
    »Muss schließlich nicht jeder alles wissen. Was halten Sie von ihm?« – er wartet die Antwort nicht ab. »Ein guter Mann für eine dunkle Nacht, wird mir versichert.«
    »Ich würde nicht wagen, es zu bezweifeln.«
    Elliot , ruft sich Toby ins Gedächtnis. Albanisch-griechischer Deserteur … South African Special Forces … hat in einer Bar einen umgelegt … seitdem in Europa zur Kur.
    Währenddessen hat der Spürhund in Toby die Stimme des Besuchers ausgeschnüffelt. Sie ist selbstbewusst, Mittel- bis Oberschicht, gebildet und unaggressiv. Was ihn verwundert, ist der vergnügte Ton. Es klingt tatsächlich, als hätte ihr Besitzer Spaß an der Sache.
    Der Minister nun wieder, gebieterisch:
    »Und Sie sind Paul , richtig?

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