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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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bleiben.
    »Weißt du zufällig, ob er beim Botschafter wohnt?«
    »Das ist seine Sache. Vielleicht bevorzugt er ja große, teure Hotels, so wie du und Fergus.«
    Mit herkulischer Selbstbeherrschung:
    »Gibst du mir vielleicht trotzdem die Nummer des Botschafters? Bitte, Gregory.«
    »Die Nummer der Botschaft kann ich dir geben. Das geht nur über die Botschaft. Tut mir leid, altes Haus.«
    Es dauert – unnötig lange, denkt Toby –, dann gibt Gregory ihm die Nummer durch. Er wählt sie, und eine umständliche Frauenstimme erklärt ihm erst auf Arabisch und dann auf Englisch, dass er, um ein Visum zu beantragen, zwischen so und so viel Uhr persönlich im britischen Konsulat vorstellig werden und sich auf lange Wartezeiten einstellen muss. Um den Botschafter oder eine zum Haushalt des Botschafters gehörige Person zu kontaktieren, kann er seine Nachricht jetzt hinterlassen.
    Er hinterlässt sie:
    »Das ist eine Nachricht für Giles Oakley, der an der Konferenz in Doha teilnimmt.« Durchatmen. »Giles, ich habe Ihnen mehrere SMS geschickt, aber die sind anscheinend nicht bis zu Ihnen durchgedrungen. Mich beutelt es privat gerade ziemlich, ich bräuchte dringend Ihren Rat. Sie können mich zu jeder Tages- oder Nachtzeit anrufen, entweder auf dieser Nummer oder, wenn Ihnen das lieber ist, bei mir zu Hause.«
    Erst als er schon wieder in der Wohnung ist, fällt ihm auf, dass er den Rotwein vergessen hat, den er angeblich kaufen wollte. Isabel bemerkt es, sagt aber nichts.
    ***
    Irgendwie ist es Morgen geworden. Isabel liegt schlafend neben ihm, aber er weiß: eine unvorsichtige Bewegung, und schon kommt es wieder zum Streit oder zum Sex. Im Lauf der Nacht ist es zu beidem gekommen, doch das hat Toby nicht davon abgehalten, sein BlackBerry neben das Bett zu legen und es regelmäßig auf Nachrichten zu überprüfen – weil er Bereitschaftsdienst hat, sagt er.
    Auch seine Gedanken waren während dieser Stunden nicht müßig, und der Schluss, zu dem sie gelangt sind, ist folgender: Er wird noch bis um zehn Uhr warten, der verabredeten Zeit für das Possenspiel, das ihm sein Minister abverlangt. Wenn Oakley bis dahin nicht auf seine Nachrichten reagiert hat, wird er handeln, auf so radikale Weise, dass er abwechselnd vor der bloßen Vorstellung zurückschreckt und auf Zehenspitzen wieder vorwärtstippelt, um einen näheren Blick zu riskieren.
    Und was sieht er da vor seinem inneren Auge, verborgen in der untersten rechten Schublade seines eigenen Schreibtisches im Vorzimmer des Ministers? Bedeckt mit Moderflecken, Grünspan und, wenn auch nur in Tobys Phantasie, Mäusekot?
    Ein ungeschlachtes, prädigitales Tonbandgerät noch aus dem Kalten Krieg, einen so vorsintflutlichen, plumpen Apparat, so fehl am Platz in unserem Zeitalter miniaturisierter Technologie, dass es den modernen Geschmack beleidigt – und schon allein deshalb hat Toby wiederholt seine Entfernung gefordert: Wer braucht so ein Monstrum, hat er argumentiert, wenn jeder Minister, der ein Gespräch in seinem Privatbüro heimlich mitschneiden möchte, dies auf hunderterlei diskretere Arten tun kann?
    Aber bisher – vielleicht doch dank der Vorsehung, denkt er jetzt – haben seine Argumente kein Gehör gefunden.
    Und der Schalter, der das Monstrum in Betrieb setzt? Einfach die Schublade eins drüber aufgezogen, die rechte Hand hineingesteckt, und da ist er: ein scharfer, feindseliger Nippel in einer braunen Bakelitfassung, den man nach unten drückt.
    ***
    8.50 Uhr. Kein Wort von Oakley.
    Toby frühstückt gern herzhaft, aber heute Morgen fehlt ihm der rechte Appetit. Isabel, jeder Zoll Schauspielerin, rührt keinen Bissen an, aber sie ist versöhnlich gestimmt, weshalb sie bei ihm sitzen und zuschauen möchte, wie er sein weiches Ei isst. Um keinen neuerlichen Streit loszutreten, kocht er sich eines und isst es. Er findet ihre Sanftheit suspekt. An allen Samstagen bisher, an denen er auf einen Sprung ins Büro musste, ist sie demonstrativ im Bett geblieben. Heute dagegen, wo ihr von Rechts wegen ein romantisches Wochenende in Dublin zustünde, ist sie ganz Mitgefühl und Verständnis.
    Die Sonne scheint, deshalb überlegt er, ob er nicht früher aufbrechen und das Stück zu Fuß gehen soll. Isabel sagt, ein Spaziergang wird ihm bestimmt guttun. Zum ersten Mal, seit sie sich kennen, bringt sie ihn bis zur Tür, küsst ihn zärtlich und winkt ihm nach. Ein Liebesbeweis, oder will sie sicherstellen, dass die Luft rein ist?
    ***
    9.52 Uhr. Immer noch kein Wort

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