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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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von Oakley.
    Toby, der die spärlich bevölkerten Londoner Straßen durcheilt hat, ohne seine Wacht über das BlackBerry mehr als ein paar Sekunden zu unterbrechen, beginnt seinen Countdown. Über die Mall zum Birdcage Walk, und indem er seinen Schritt dem der Touristen anpasst, nähert er sich der grünen Seitentür mit dem Eisengitter davor.
    Er dreht den Türknauf. Die grüne Tür öffnet sich.
    Noch einmal wendet er sich um und schaut mit gesuchter Nonchalance in die Runde, auf die Horse Guards Road, das London Eye, eine Gruppe stiller japanischer Schulkinder und – letzter verzweifelter Appell – die Platane, in deren Schatten er gestern den ersten seiner unbeantworteten Notrufe an Oakley abgesetzt hat.
    Ein abschließender mutloser Blick auf das Display bestätigt ihm, dass der Appell unerhört bleibt. Er schaltet das BlackBerry aus und verbannt es in seine Innentasche.
    ***
    Nach Durchführung der lachhaften Manöver, die sein Minister ihm auferlegt hat, erreicht Toby ganz richtig das Vorzimmer und vergewissert sich über das Haustelefon bei den bedröppelten Sicherheitsleuten, dass er ihrer Aufmerksamkeit glücklich entgangen ist.
    »Sie hätten aus Glas sein können, Mr. Bell, Sir. Ich hab glatt durch Sie durchgeschaut. Schönes Wochenende noch.«
    »Ihnen auch, und vielen Dank noch mal.«
    Vor seinem Schreibtisch stehend, fasst ihn eine Welle der Empörung, die ihn kühn macht. Du lässt mir keine andere Wahl, Giles.
    Der Schreibtisch soll etwas darstellen: pseudo-antik, ein geschwungenes Teil mit einer Öffnung für die Knie und einer Schreibauflage aus geprägtem Leder.
    Er setzt sich in seinen Sessel, beugt sich nach rechts und zieht die bauchige unterste Schublade auf.
    Falls ein Teil von ihm noch darum betet, seine Bitte an die technische Abteilung möge über Nacht wundersamerweise erhört worden sein: Schluss jetzt mit Beten. Wie eine rostige Kriegsmaschine auf einem vergessenen Schlachtfeld steht das Tonbandgerät am selben Platz wie schon seit Jahrzehnten, in Bereitschaft für den Einsatz, der nie kommen wird. Aber nun schlägt seine Stunde. Statt über Stimmaktivierung verfügt es über eine Startuhr nicht unähnlich der an der Mikrowelle bei Toby zu Hause. Die betagten Tonspulen sind leer. Aber zwei riesige Tonbänder in verstaubten Zellophanhüllen warten geduldig auf dem Brett darüber.
    Jetzt nur noch den Schalter nach unten gedrückt.
    Und morgen komm ich und hol dich hier raus, wenn ich bis dahin nicht im Knast sitze.
    ***
    Und nun war der neue Tag da und Isabel fort. Es war morgen, ein ungewohnt sonniger Frühlingssonntag, Kirchenglocken riefen die Sünder von Soho zur Buße auf, und Toby Bell, seit drei Stunden wieder solo, saß immer noch im Straßencafé bei seinem dritten – oder mittlerweile fünften? – Kaffee und sammelte Mut für den unwiderruflichen Schritt ins Schwerverbrechertum, den er die ganze Nacht geplant und gefürchtet hatte und der darin bestand, zurückzugehen ins Vorzimmer, das Tonband einzustecken und es vor der Nase der Sicherheitsleute aus dem Ministerium zu schmuggeln wie ein schäbiger kleiner Spion.
    Noch konnte er zurück. Auch das hatte er sich in den langen, quälenden Nachtstunden immer wieder vorgesagt. Solange er hier an diesem Blechtisch saß, war im Grunde nichts Unrechtes passiert. Kein Wachmann, der ganz bei Trost war, würde ein uraltes Tonbandgerät überprüfen, das in den Tiefen eines Schreibtisches vor sich hin moderte. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Band trotz allem entdeckt wurde, hatte er seine Erklärung parat: Während der hektischen Vorbereitungen für ein hochgeheimes Treffen von immenser nationaler Wichtigkeit hatte Staatsminister Quinn sich an die Existenz einer versteckten Abhöranlage erinnert und Toby angewiesen, sie zu aktivieren. Später würde Quinn dann vielleicht leugnen, eine solche Anordnung erteilt zu haben. Aber bei all den Staatsangelegenheiten, die der Mann im Kopf hatte, konnte eine derartige Verirrung keinen, der ihn kannte, wundern; und für die, die sich noch an die Gedächtnisprobleme Richard Nixons erinnerten, wäre es wie ein Déjà-vu.
    Toby sah sich nach der niedlichen Bedienung um. Sie lehnte drinnen am Tresen und schäkerte mit dem Kellner.
    Jetzt hatte sie ihn entdeckt und kam zu ihm heraus. So ein hübsches, kokettes Lächeln.
    Sieben Pfund bitte. Er gab ihr zehn.
    Dann stand er am Bordstein und starrte auf das sorglose Treiben rings um ihn.
    Geh nach links, zum Ministerium, und du stehst mit

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