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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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beklagen, wenn die Verpackung hübscher als der Inhalt ist?
    Hinter einem Klapptisch steht Jack Painter, der rothaarige Sohn von Ben aus der Autowerkstatt, mit Hosenträgern und einem Stetson. Neben ihm sitzt ein Mädchen im geflügelten Elfengewand und verkauft Lose, vier Pfund das Stück.
    »Verdammt, Kit, Sie ziehen doch umsonst!«, ruft Jack großspurig. »Sie sind der verdammte Narrenbischof, Mann, und Suzanna zieht auch umsonst!«
    Doch Kit in seiner Hochstimmung will davon nichts wissen:
    »Wir ziehen nicht umsonst, tut mir leid, Jack Painter. Wir ziehen mindestens das große Los. Wobei ich es ja schon gezogen habe«, entgegnet er, klatscht im Vollgefühl seines Glücks eine Zehn-Pfund-Note auf den Tisch und wirft die zwei Pfund Wechselgeld in die Spendenbüchse des Tierschutzvereins.
    Ein Heuwagen wartet auf sie. Eine bändergeschmückte Leiter lehnt dagegen. Suzanna fasst sie mit einer Hand, rafft in der anderen ihren Reitrock und klettert mit Kits Hilfe hinauf. Kräftige Arme strecken sich ihr entgegen. Es dauert ein bisschen, bis ihr Atem sich beruhigt hat. Jetzt. Sie lächelt. Harry Tregenza, der »Baumeister, dem man vertraut« und seines Zeichens Erzgauner, trägt eine Henkersmaske und schwingt eine silbern bemalte Holzsense. Flankiert wird er von seiner Frau, die Bunny-Ohren aufgesetzt hat, und der diesjährigen Miss Bailey, deren üppiger Busen in einem zu engen Mieder wogt. Kit zieht seinen Strohhut, haucht galante Küsse auf die Wangen beider Damen und wird von beiden in die gleiche Wolke von Jasminduft gehüllt.
    Eine bejahrte Drehorgel leiert »Daisy, Daisy, give me your answer, do«. Mit beherztem Lächeln wartet er, dass der Lärm sich legt. Nichts dergleichen. Er schwenkt den Arm, lächelt noch beherzter. Vergebens. Aus der Innentasche seines Blazers zieht er die Stichworte, die Suzanna großmütigerweise für ihn getippt hat, und wedelt damit. Eine Dampflokomotive stößt einen kampflustigen Pfiff aus. Er mimt einen theatralischen Seufzer, sieht mitleidheischend zum Himmel empor, dann auf die Menge zu seinen Füßen, aber das Getöse nimmt nicht ab.
    Dann muss es eben so gehen.
    Den Anfang machen die Abkündigungen, wie er sie ironisch betitelt, dabei haben sie so unkirchliche Dinge wie Toiletten, Parkplätze und Wickelräume zum Inhalt. Hört irgendjemand zu? Nach dem Ausdruck auf den Gesichtern im näheren Umkreis zu urteilen, nein. Er zählt all unsere selbstlosen Freiwilligen auf, die Tag und Nacht geschuftet haben, um dieses Wunder zu ermöglichen, und ermuntert sie, sich zu erkennen zu geben. Ebenso gut könnte er die Namen der glorreichen Gefallenen verlesen. Die Drehorgel fängt ihr Lied wieder von vorne an. Du bist der Narrenbischof. Du musst witzig sein. Ein rascher Blick zu Suki: keine Warnsignale. Und Emily, seine geliebte Em: groß und wachsam steht sie da, wie immer ein Stückchen abseits der Meute.
    »Und als Letztes, bevor ich hier wieder runterkraxle – schön vorsichtig natürlich, wie sich das für einen alten Tattergreis gehört!« – keinerlei Reaktion –, »als Letztes, liebe Freunde, habe ich das Vergnügen und die sehr große Ehre, euch dazu aufzufordern, euer hartverdientes Geld mit beiden Händen zum Fenster rauszuwerfen, hemmungslos mit fremden Frauen zu flirten« – o weh, was werden jetzt die Methodisten sagen! –, »und ansonsten zu essen und zu trinken und zu feiern, was das Zeug hält. Also hipp, hipp « – er reißt sich den Strohhut vom Kopf und streckt ihn in die Luft –, » hipp, hipp!«
    Suzanna reißt ihren Zylinder hoch. Der Baumeister-dem-kein-Schwein-vertraut kann sich die Henkersmaske nicht abreißen, deshalb reckt er die geballte Faust in einem unbeabsichtigten sozialistischen Kampfesgruß. Ein sehr verspätetes Hurra! platzt aus den Lautsprechern wie ein Störgeräusch. Gemurmeltes »Geht doch!« und »Na, wer sagt’s denn« klingt an Kits Ohr, als er dankbar die Leiter hinunterklettert, seinen Spazierstock zu Boden fallen lässt und emporlangt, um Suzanna um die Hüften zu fassen.
    »Cool, Dad!« – Emily ist neben ihm aufgetaucht und reicht ihm den Stock. »Willst du dich hinsetzen, Mum, oder weiterkrebsen?« – ein Familienscherz jüngeren Datums.
    Weiterkrebsen, wie immer.
    ***
    Der Narrenbischof und seine Frau Gemahlin beginnen ihren Rundgang. Als Erstes wollen die Kaltblüter begutachtet sein. Suzanna, das Landkind, streichelt sie und klopft ihnen ohne jede Scheu aufs Hinterteil. Kit bewundert derweil lautstark ihre

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