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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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die tiefste
Verachtung verdiente – sie wußten nichts von einer
Nadel! Sie befestigten ihre Felle, die kaum den Namen Kleidung
verdienten, mit Lederschnüren! Mußte man mehr sagen,
um den Tiefstand dieser Barbaren zu kennzeichnen?
    Allerdings, eine gewisse Schlauheit war ihnen nicht
abzusprechen. Erstaunlich schnell eigneten sie sich die wichtigsten
Worte aus der Sprache ihrer Nachbarn an und waren bald imstande, sich
mit ihnen, durch Zeichen unterstützt, zu
verständigen. Sie bemühten sich, alles, was ihnen
nützlich schien, zu erlernen. Besonders gefiel ihnen die
Nadel. Frauen und Männer wollten bei den Leuten vom Flusse im
Nähen unterrichtet werden. Sie wurden darin bald sehr
geschickt. Aber, wenn es ihnen auch gelang, eine Knochenspitze aus dem
Groben zu arbeiten, so scheiterten sie daran, das feine
Nadelöhr zu bohren. Sie waren nahe daran, zu glauben, die
Leute vom Flusse besäßen hierfür einen
besonderen, geheimen Zauber. Da sie nun diese kostbaren Nadeln
brauchten, gaben sie dafür zum Tausche freigebig von ihrer
Jagdbeute, die sie mit Hilfe ihrer Hunde erlegten.
    Daß sie die Hunde durch Zauber bändigten und
mit ihnen in so gutem Einvernehmen lebten, war die einzige
Überlegenheit, die man anerkennen mußte. Aber
eifersüchtig hüteten sie dieses Geheimnis, dessen
Wert jeder zu ermessen vermochte. –
    Für den Augenblick litt man kaum unter ihrer
Anwesenheit im Lande. Die Jagd war schon während der ganzen
letzten Jahre immer schwieriger geworden, vielleicht war sie jetzt noch
mühseliger und weniger ertragreich, doch hierin konnte man
nicht unbedingt eine Schuld der Fremden sehen.
    So vergingen die letzten schönen Herbsttage, die
einem heißen Sommer gefolgt waren, mit den gewohnten, kaum
wesentlich gesteigerten Klagen.
    Mit dem Einbruche der schlechten Witterung aber
änderten sich die Dinge. Jetzt, da die Regenzeit begonnen
hatte, wurde es den Leuten am Flusse nach und nach klar, daß
die Jagd sie nicht mehr ernähren konnte. Sicherlich hatten sie
auch früher schon schlechte Zeiten gekannt, in denen sie mit
leeren Händen nach Hause zurückgekehrt waren. Aber
nun schien das, was vormals eine Ausnahme war, zur Regel zu werden.
Großwild, von dem eine Familie mehrere Tage hätte
leben können, erlegten sie gar nicht mehr. Pferde, Bisons,
Rinder und Hirsche begannen neue Gewohnheiten anzunehmen. Sie zogen in
weit entlegene Gebiete, fern von den Wohnstätten, und
ließen niemanden an sich herankommen.
    Andere Tiere waren ganz aus der Gegend verschwunden. Die
klugen Mammute hatten eingesehen, daß es an der Zeit sei,
fortzuziehen. Ein Jäger, der des Nachts draußen
gewesen war, um Fallen zu legen, hatte beobachtet, wie sich die letzte
Familie, die noch in der Gegend gelebt hatte, in den großen,
vom Regen angeschwollenen Strom geworfen hatte: Das alte
männliche Tier als erstes, dann zwei Weibchen, und zum
Schluß folgten ihnen die beiden Jungen, die erst im letzten
Frühling zur Welt gekommen waren. Sie mußten sich von
besonderen Gefahren bedroht fühlen, wenn sie dies taten, denn
in der Regel vermieden sie es, tiefe Gewässer zu durchqueren.
    Über die Ursache dieser unseligen
Veränderungen konnte kein Zweifel mehr bestehen: Es waren die
Hunde, die mit den Rundschädeln jagten! Ihr Bellen
durchlärmte alle Täler und erschreckte die Tiere.
Unermüdlich und erbarmungslos waren sie in der Verfolgung des
Wildes, und wenn sie es aufgespürt und bis zur
Erschöpfung gehetzt hatten, dann fielen sie es an und
ließen es nicht weiter, bis ihre Herren nachgekommen waren,
denen nichts zu tun übrigblieb, als aus gefahrloser Entfernung
die leichte Beute zu erlegen.
    Für die Leute vom Fluß aber blieb nur noch
das früher verachtete kleine Wild, dessen Fleisch einen
widerlichen Geschmack hatte: Füchse, Wölfe, unsaubere
Hyänen. Und mußten die Bärensöhne
nicht ihnen gleich werden, wenn sie nun gezwungen waren, sich
ausschließlich von solchen feigen Tieren zu nähren?
Das konnte nur zum sicheren Verfall dieses einst so schönen,
edlen Stammes führen!
    Verzweiflung erfüllte die Herzen. Die Weiber
jammerten, und niemand blieb von ihren Klagen und Vorwürfen
verschont. Es war nicht abzusehen, zu welchen Verzweiflungstaten diese
Unglücklichen sich hinreißen lassen würden.
Einzelne Fälle waren schon vorgekommen, daß
Mütter ihre neugeborenen Kinder getötet hatten, um
ihnen die Leiden eines Lebens zu ersparen, das gelebt zu

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