Ender 4: Enders Kinder
so ohne weiteres jedenfalls. Sein folgenreiches Werk, das ihm den Ruf als Yamato-Philosoph eintrug, beinhaltete den Gedanken, daß das japanische Volk als rebellische Marionetten geboren sei. Zuerst war es die chinesische Kultur, die die Fäden zog. Aber Hikari sagt, Japan habe lauter falsche Lehren aus der versuchten chinesischen Invasion Japans gezogen – die, nebenbei bemerkt, durch einen großen Sturm verhindert wurde, der Kamikaze genannt wird, was ›Götterwind‹ heißt. Also kannst du dir sicher sein, daß jeder auf dieser Welt sich wenigstens an diese alte Geschichte erinnert. Wie dem auch sei, Japan schottete sich auf einer Insel ab und weigerte sich zunächst, sich mit den Europäern abzugeben, als diese kamen. Aber dann öffnete eine amerikanische Flotte Japan gewaltsam für den internationalen Handel, und dann machten die Japaner die verlorene Zeit wieder wett. Die Meiji-Restauration führte dazu, daß die Japaner versuchten, sich zu industrialisieren und zu verwestlichen – und wieder brachte ein neuer Satz Fäden die Marionette zum Tanzen, sagt Hikari. Nur wurden daraus erneut die falschen Lehren gezogen. Weil die Europäer zu jener Zeit Imperialisten waren, die Afrika und Asien unter sich aufteilten, beschloß Japan, daß es ein Stück vom imperialistischen Kuchen haben wollte. Da gab es China, den alten Puppenspieler. Also kam es zu einer Invasion –«
»Diese Invasion gehörte zum Unterrichtsstoff auf Weg«, sagte Wang-mu.
»Ich bin überrascht, daß dort überhaupt Geschichte gelehrt wurde, die jüngeren Datums als die Mongoleninvasion ist«, sagte Peter.
»Die Japaner wurden schließlich aufgehalten, als die Amerikaner die ersten Nuklearwaffen auf zwei japanische Städte abwarfen.«
»Das Äquivalent des Kleinen Doktors in jenen Tagen. Die unwiderstehliche, totale Waffe. Die Japaner begannen rasch, diese Nuklearwaffen als eine Art Ruhmesabzeichen anzusehen: Wir waren das erste Volk, das jemals mit Nuklearwaffen angegriffen wurde. Es wurde zu einer Art von permanentem Groll, was eigentlich nicht schlecht war, weil das einen Teil ihres Antriebs darstellte, viele Kolonien zu gründen und zu besiedeln, damit sie nie wieder eine hilflose Inselnation sein würden. Aber dann kommt Aimaina Hikari, und er sagt – nebenbei bemerkt, sein Name ist selbstgewählt, es ist der Name, den er benutzt hat, um sein erstes Buch zu signieren. Er bedeutet ›Vieldeutiges Licht‹.«
»Wie gnomisch«, sagte Wang-mu.
Peter grinste. »Ach, sag ihm das, und er wird bestimmt stolz sein. Jedenfalls, in seinem ersten Buch sagt er: Die Japaner haben die falschen Lehren gezogen. Jene Nuklearbomben haben die Fäden durchtrennt. Japan lag völlig am Boden. Die stolze alte Regierung war vernichtet, der Kaiser wurde zu einer Galionsfigur, die Demokratie hielt Einzug in Japan, und danach Reichtum und große Macht.«
»Die Bomben waren demnach ein Segen?« fragte Wang-mu zweifelnd.
»Nein, nein, keineswegs. Er glaubt, der Reichtum Japans habe die Seele der Menschen zerstört. Sie hätten den Zerstörer als ihren Vater angenommen. Sie seien zu Amerikas Bastard geworden, durch amerikanische Bomben ins Sein gesprengt. Wieder nur Marionetten.«
»Aber was hat er dann mit den Nezessisten zu schaffen?«
»Japan wurde gerade deswegen bombardiert, sagt er, weil die Japaner schon zu europäisch waren. Sie behandelten China so, wie die Europäer Amerika behandelt hatten: selbstsüchtig und brutal. Aber die japanischen Ahnen konnten es nicht ertragen zu sehen, wie ihre Kinder zu solchen Bestien wurden. Genau wie die Götter Japans einen Götterwind geschickt hatten, um die chinesische Flotte aufzuhalten, so schickten die Götter deshalb die amerikanischen Bomben, um die Japaner daran zu hindern, ein imperialistischer Staat wie die Europäer zu werden. Die japanische Reaktion darauf hätte sein sollen, die amerikanische Besetzung zu ertragen und dann, sobald sie vorüber war, wieder rein japanisch zu werden, geläutert und ganz. Der Titel seines Buches lautete Nicht zu spät.«
»Und ich wette, die Nezessisten benutzen die amerikanische Bombardierung Japans als weiteres Beispiel dafür, mit maximaler Härte und Schnelligkeit zuzuschlagen.«
»Kein Japaner würde es gewagt haben, das amerikanische Bombardement zu rühmen, bis Hikari es möglich machte, das Bombardement nicht als Opferung Japans, sondern als Versuch der Götter zur Erlösung des Volkes zu betrachten.«
»Also sagen Sie, die Nezessisten respektieren ihn genügend,
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