Ender 4: Enders Kinder
man sie anweisen wird, Lusitania unangetastet zu lassen. War das nicht der Plan?«
Wang-mu nickte.
»Tja, ihr habt euch getäuscht. Von außen kann man nicht erkennen, was einen Menschen dazu veranlaßt, sich für die Dinge zu entscheiden, für die er sich entscheidet. Aimaina schrieb mir, aber ich habe keine Macht über ihn. Ich lehrte ihn den Weg des Ua Lava, ja, aber es war das Ua Lava, dem er folgte, er folgt nicht mir. Er folgte ihm, weil es ihm wahr erschien. Wenn ich plötzlich anfinge zu erklären, daß Ua Lava auch bedeute, keine Rotten loszuschicken, um Planeten auszulöschen, würde er höflich zuhören und mich ignorieren, weil das nichts mit dem Ua Lava zu tun hätte, an das er glaubt. Er würde es zu Recht als einen Versuch einer alten Freundin und Lehrerin ansehen, ihn sich gefügig zu machen. Es wäre das Ende des Vertrauens zwischen uns, und trotzdem würde er seine Meinung nicht ändern.«
»Also haben wir versagt«, meinte Wang-mu.
»Ich weiß nicht, ob ihr versagt habt oder nicht«, sagte Grace. »Lusitania ist noch nicht zerstört. Und woher wißt ihr, ob das überhaupt der wahre Grund eures Kommens war?«
»Peter sagte, er sei es. Jane sagte es auch.«
»Und woher wissen sie, was ihr Grund war?«
»Nun, wenn Sie so weit gehen wollen, dann hat keiner von uns überhaupt irgendeinen Grund«, sagte Wang-mu. »Unsere Leben sind einfach nur unsere Gene und unsere Erziehung. Wir agieren einfach nach dem Drehbuch, das uns aufgezwungen wurde.«
»Oh«, sagte Grace. Sie klang enttäuscht. »Es tut mir weh, dich etwas so Dummes sagen zu hören.«
Wieder wurde das große Kanu auf den Strand gezogen. Wieder erhob sich Malu von seinem Sitz und trat auf den Sand hinaus. Aber diesmal – war es denn möglich? – diesmal schien er sich zu beeilen. Sich so sehr zu beeilen, daß er, ja, ein kleines bißchen von seiner Würde verlor. So langsam sein Vorrücken auch war: Wang-mu hatte tatsächlich den Eindruck, als springe er geradezu mit großen Sätzen den Strand hinauf.
Und als sie seine Augen anschaute, sah, wohin er blickte, da begriff sie, daß er nicht zu Peter kam, sondern zu ihr.
Novinha erwachte in dem weichen Sessel, den man für sie gebracht hatte, und einen Augenblick lang vergaß sie, wo sie sich befand. Während ihrer Zeit als Xenobiologin war sie oft auf einem Stuhl im Labor eingeschlafen, und deshalb schaute sie sich einen Augenblick lang um, um zu sehen, woran sie gearbeitet hatte, bevor sie eingeschlafen war. Was für ein Problem war es, das sie gerade zu lösen versuchte?
Dann sah sie Valentine über dem Bett stehen, in dem Andrew lag. In dem Andrews Körper lag. Sein Herz war woanders.
»Du hättest mich wecken sollen«, sagte Novinha.
»Ich bin eben erst gekommen«, sagte Valentine. »Und ich habe es nicht über mich gebracht, dich zu wecken. Sie sagten, du schliefest fast nie.«
Novinha erhob sich. »Seltsam. Mir kommt es so vor, als sei das alles, was ich tue.«
»Jane stirbt«, sagte Valentine.
Novinhas Herz machte einen Satz.
»Deine Rivalin, ich weiß«, sagte Valentine.
Novinha blickte der Frau in die Augen, um zu sehen, ob da Zorn war oder Spott. Aber nein. Es war bloß Mitgefühl.
»Glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst«, sagte Valentine. »Bis ich mich in Jakt verliebte und ihn heiratete, war Ender mein ganzes Leben. Aber ich war niemals seins. Oh, eine Zeitlang, in seiner Kindheit, da habe ich ihm am meisten bedeutet – aber das wurde dadurch vergiftet, daß die Militärs mich dazu benutzten, an ihn heranzukommen, um ihn zum Weitermachen zu bewegen, als er aufgeben wollte. Und danach war es immer Jane, die seine Scherze hörte, seine Beobachtungen, seine geheimsten Gedanken. Es war Jane, die sah, was er sah, und hörte, was er hörte. Ich schrieb meine Bücher, und als sie fertig waren, besaß ich für ein paar Stunden, für ein paar Wochen seine Aufmerksamkeit. Er benutzte meine Ideen, und darum hatte ich das Gefühl, er trüge einen Teil von mir in seinem Inneren. Aber er gehörte ihr.«
Novinha nickte. O ja, sie verstand nur zu gut.
»Aber ich habe Jakt, und darum bin ich nicht mehr länger unglücklich. Und meine Kinder. So sehr ich Ender auch geliebt habe, der mächtige Mann, der er ist, selbst wenn er so daliegt wie jetzt, selbst wenn er dahinschwindet – Kinder bedeuten einer Frau mehr, als jeder Mann es könnte. Wir tun so, als sei es anders. Wir tun so, als würden wir sie für ihn gebären, als zögen wir sie dann für ihn auf. Aber das ist
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