Endlich Endzeit - ein Baden-Württemberg-Krimi
sehen seinen vollständigen … nun ja: Künstlernamen auf dem Umschlag des Buches dort.«
Haab lachte kurz auf, dann las er die Aufschrift.
»Ich, Xumucanes Sohn … Meine Güte, dem muss es aber ernst sein. Darf ich?«
Er zeigte auf das Buch.
»Ja, bitte, Sie haben ja die Handschuhe an.«
Haab blätterte die Kladde auf und sah zunächst den Monatskalender vor sich, auf dem die Tage sechs, neun, dreizehn, achtzehn, neunzehn und einundzwanzig angekreuzt waren.
»Können Sie sich darauf einen Reim machen?«
Der Ethnologe überflog die Zahlen kurz.
»Ja, zum Teil. Die Dreizehn ist für die Maya eine heilige Zahl, der Haab-Kalender hat achtzehn reguläre Monate, und der neunzehnte enthält fünf Unglückstage – das hatte ich ja schon erwähnt. Und für den einundzwanzigsten Dezember erwartet dieser Xumucane-Sohn den Weltuntergang. Die anderen Zahlen … nein, tut mir leid, dazu fällt mir im Moment nichts ein.«
»Die haben vielleicht auch nur organisatorische Bedeutung«, erklärte Schneider. »Am Neunten sollen die ersten Gäste hier am Ebnisee eintreffen, und am Sechsten … tja: Da tappen wir noch im Dunkeln. In der Nacht vom sechsten auf den siebten Dezember geschah der Mord, aber ob das geplant war oder ob ein Treffen mit dem Mordopfer am Abend zuvor anstand …«
Schneider zuckte mit den Schultern.
»Der Nikolaustag dürfte unseren Ober-Maya weniger interessieren, aber eine Besprechung in einem Gasthaus droben im Dorf stand für diesen Abend an, da wurden letzte Details für die Verpflegung der erwarteten Gäste besprochen. Aber Ihnen als Maya-Experte sagen die Daten nichts?«
»Nein, im Moment nicht.«
Haab blätterte weiter und runzelte die Stirn.
»Meine Güte, der hat ja eine fürchterliche Klaue! Da kann ich kaum etwas entziffern.«
»Wir lassen das Buch gerade abtippen, ich tu mich auch schwer damit, das Gekrakel zu lesen. Wir haben die Kladde heute morgen abgeholt und bringen es nachher auch gleich wieder den Kollegen. Wenn wir Ihnen einzelne Passagen mailen dürften, zu denen wir Ihre Erläuterungen brauchen, wäre uns das eine große Hilfe.«
»Klar, kann ich gerne machen.«
Er legte das Buch zurück und sah sich weiter um.
»Ist hier drin alles noch so, wie Sie es nach dem Mord angetroffen haben?«
»Nein, unsere Kollegen haben dort hinten aufgeräumt.«
Schneider deutete auf eine Zeltwand.
»Zum Glück, denn da lagen jede Menge halbleere Konservendosen und alte Klamotten.«
Er hielt sich kurz demonstrativ die Nase zu und grinste.
»Sonst haben Ihre Kollegen nichts weggebracht? Ein Buch vielleicht, eine Karte, eine Schautafel oder ein Poster mit Maya-Symbolen?«
Schneider schüttelte den Kopf.
»Seltsam«, murmelte Haab. »Ich hätte erwartet, dass hier noch irgendetwas Mayamäßiges lag, es gibt da schöne Sachen, auf die Leute wie dieser Xumucane k-p’eñal meistens stehen. Vielleicht wollte er das aber auch erst noch herbeischaffen – wenn seine Gäste erst morgen eintreffen, hatte er ja noch etwas Zeit.«
So, wie Haab es aussprach, klang Meiers Pseudonym fast schon geheimnisvoll. Und irgendwie auch amtlicher als aus Meiers eigenem Mund – der Welzheimer Hobby-Maya war mit seinem Thema wohl doch eher als interessierter Laie vertraut.
»Trotzdem: mindestens auf das Popol Vuh hätte ich gewettet. Das gehört eigentlich zwingend neben diese Kladde, wahrscheinlich hat er sich daraus auch für seine Notizen bedient. Es gibt vom Popol Vuh einige günstige Ausgaben, die in einschlägigen Buchhandlungen vorrätig oder zügig lieferbar sein dürften.«
»Sie meinen das Heilige Buch der Maya?«
»Das kennen Sie? Respekt!«
»Nicht wirklich – dieser Xumucane hat mir davon erzählt, als er mir die Herkunft seines Pseudonyms erklärte, da habe ich im Internet nachgesehen.«
»
Dieser Xumucane
… wenn Sie das so sagen, muss ich immer schlucken. Wissen Sie: Das Xumucane-Original war eine Frau, die Urmutter gewissermaßen. Aber egal: Das ›Ratsbuch‹, wie es übersetzt heißt, enthält alte Überlieferungen, die von den Quiché-Maya aufgeschrieben wurden und bei den Maya in der Bedeutung etwa unserer Bibel vergleichbar war. Das haben die Spanier erkannt, als sie das Gebiet der Maya kolonisierten – also haben sie das Buch verboten und, wo sie es zu fassen bekamen, auch verbrannt. Sie haben allerdings nicht alle Exemplare erwischt, und Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde eine neuere Abschrift in lateinischer Schrift, die wohl irgendwann vor 1700 von Maya-Priestern
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