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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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Opposition: Die stalinistischen Jahre waren die Jahre der Schauprozesse gegen angebliche Spione, Konterrevolutionäre, Provokateure und Abweichler. Die Richterin und spätere Justizministerin Hilde Benjamin und der Chefankläger Ernst Melsheimer (rechts im Bild) waren berüchtigt für die Verhängung von drakonischen und willkürlichen Strafen.
    Die Liberalisierung war allerdings von kurzer Dauer. 1955 wurden mindestens dreißig Todesurteile gefällt, 23 von ihnen auch vollstreckt. Nach dem Ungarnaufstand 1956 verstärkte sich die Verfolgung weiter. 1958 verdoppelte sich die Zahl der Verurteilungen gegenüber dem Vorjahr. In Halle erhielten zwei Studenten Zuchthausstrafen von je sieben Jahren, weil sie angeblich eine »konspirative Gruppe« gebildet hatten. Kurz darauf wurden die Mitglieder des »Nationalkommunistischen Studentenbunds« in Dresden mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestraft. Sie hatten sich Gaspistolen und Sprengstoff besorgt und die KgU in West-Berlin um finanzielle Unterstützung gebeten.
    Im Unterschied zu anderen sozialistischen Ländern führte die DDR allerdings keine offen antisemitischen Kampagnen und antisemitischen Schauprozesse durch wie die Sowjetunion gegen die jüdischen Ärzte oder die Tschechoslowakei gegen den ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Rudolf Slánský. Anders als in Moskau und in Warschau fand in Ost-Berlin nach dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 auch keine Abrechnung mit den dogmatischen Genossen aus der stalinistischen Ära statt. Nicht Stalinisten, sondern Revisionisten verloren an Einfluss. Die Spitzenfunktionäre Karl Schirdewan, Ernst Wollweber und Fred Oelßner wurden aus Politbüro und Zentralkomitee ausgeschlossen. Der Lektor des Aufbau-Verlages Wolfgang Harich und Walter Janka, Verlagschef und Vertrauter des damaligen Kulturministers Johannes R. Becher, standen wegen Bildung einer »konspirativen, staatsfeindlichen Gruppe« vor Gericht. Nicht zuletzt wegen ihrer Kontakte zu dem ungarischen Philosophen Georg Lukács erhielten beide langjährige Haftstrafen. Ihre Rehabilitierung erfolgte erst 1990 – allerdings noch vom Obersten Gericht der DDR.
    Zum Beispiel Anita Gossler
    I ch war neunzehneinhalb Jahre alt, als ich am 25. Januar 1953 in meiner Heimatstadt Delitzsch während einer Nachtschicht verhaftet wurde. Zwei Jahre lang hatte ich bei der Reichsbahn Fahrkarten verkauft und war im Ausbesserungswerk Delitzsch als Pförtnerin eingesetzt. Ich sollte mich als Werktätige bewähren. Da erschienen plötzlich drei Männer in Zivil und führten mich ab. Dass sie von der Staatssicherheit waren, erfuhr ich erst später. Ich hielt alles für ein Missverständnis und war mir keiner Schuld bewusst.
    Meine Eltern haben immer gesagt: Schließe dich keiner Partei an und bleibe einfach Mensch. So war ich schon in nationalsozialistischer Zeit nicht in den Bund Deutscher Mädel eingetreten und hatte mich im Unterschied zu vielen anderen konfirmieren lassen. 1943 sollte ich, da ich nicht angepasst war, sogar in ein Erziehungsheim. Das Verfahren zog sich allerdings in die Länge, und irgendwann war das Nazi-Regime am Ende.
    Auch in der Sowjetisch Besetzten Zone machte ich nicht einfach mit. Ich fuhr nicht mit der Klasse zur Friedenskundgebung nach Berlin und wurde auch nicht Mitglied der FDJ. Als Einzige in der Klasse erhielt ich keine Zulassung zum Abitur und wurde zur Bewährung in die Produktion geschickt. Da ich aber studieren und Kinderärztin werden wollte, strengte ich mich an, um bei der Reichsbahn gut abzuschließen – noch vertraute ich darauf, mir durch gute Leistungen einen Studienplatz erarbeiten zu können. Stattdessen landete ich bei der Staatssicherheit.
    Nach zwei Tagen in einer kleinen Zelle wurde ich etwa zwei Kilometer durch die ganze Stadt geführt, die Hände vorn in Handschellen
gefesselt. Ein Haftrichter erklärte mir, aufgrund von triftigen Verdachtsmomenten sei eine Untersuchungshaft angeordnet. Ich kam ins Stasi-Gefängnis in der Beethovenstraße von Leipzig. Plötzlich war ich ein Häftling, ausgestattet mit einer langen Männerunterhose und einem Männerunterhemd, dazu einem Blaumann, Hose und Jacke, sowie Holzpantinen mit Fußlappen aus harter Wolle, die wie ein Schal um die Füße zu wickeln waren. Wie bei einem Schwerverbrecher wurden alle Körperöffnungen untersucht, ich hätte ja einen Kassiber einschmuggeln können. Dann schloss sich hinter mir die Tür einer Einzelzelle, drei Tage blieb ich ohne jeglichen

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