Endlich wieder leben
überredet und nachts Flugblätter geklebt, in denen er dazu aufrief, die weiße Fahne zu hissen. Da sich niemand bereit fand, das Todesurteil zu vollstrecken, übenahm Ernst Meyer die Aufgabe selbst, hängte Robert Limpert an einem Haken vor dem Rathaus auf und heftete ihm die Flugblätter mit einem Zettel »Ich bin der Verfasser« an die Kleider. Danach requirierte er ein Fahrrad und setzte sich aus Ansbach ab. Nach Kriegsende wurde Ernst Meyer von den Amerikanern in einem Kriegsgefangenenlager entdeckt, dem Amtsgericht Ansbach übergeben und in einem Prozess Ende 1946 zu einer Haftstrafe von zehn Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. 1952 kam er vorzeitig frei.
Dass ihr Vater im Zuchthaus saß, wusste Ute schon als Kind; allerdings war ihr der Grund nicht bekannt. Auf die Frage, wo ihr Vater sei, sollte sie antworten, »er sei in der Gefangenschaft«. Doch da Utes Mutter ihren Mann zwei Mal pro Jahr besuchen konnte, überzeugte diese Auskunft das Umfeld nicht. In jener Zeit des
Nicht-Wissens legte sich die Schuld des Vaters wie ein dunkler Schatten auf Utes Leben. Sie wurde Legasthenikerin und entwickelte psychosomatische Störungen.
»Wir Kinder der Nazis«, weiß Ute Althaus inzwischen, »wurden von der braunen Vergangenheit der Eltern gezeichnet, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht … Durch eine falsche Loyalität mit den Eltern und durch den kindlichen Wunsch, die eigenen Eltern möglichst unversehrt zu erhalten, bleiben wir selbst in dem mörderischen System gefangen. Sich aus diesem Gefangensein zu befreien, ist mit großen Ängsten und Schuldgefühlen verbunden, denn dieser Schritt kommt einem Ungehorsam gegenüber den Eltern gleich.«
Ute Althaus schaffte den Schritt zum Ungehorsam nicht, solange der Vater lebte. 25 Jahre besuchte sie ihn im Altersheim. »Dass ich in all diesen Jahren auch eine liebevolle Beziehung mit ihm suchte, … wurde mir erst nach seinem Tod bewusst. Ich hatte gehofft, dass er in einem langsamen Sterbeprozess seinen Panzer ablegen würde und wir uns dann doch noch begegnen würden. – Es kam nicht so.« Ernst Meyer blieb ohne jedes Unrechtsbewusstsein. 135
Im privaten Erinnern dürfte es zwischen Westdeutschland und der DDR kaum Unterschiede gegeben haben. Doch während das Verschweigen und Verdrängen im öffentlichen Raum in Westdeutschland zunehmend Widerspruch und Kritik hervorriefen, entfaltete der Antifaschismus als offizielle Staatsdoktrin der DDR erstaunliche Bindungskraft – für nicht wenige bis zu ihrem Untergang.
Die DDR, mein Vaterland,
ist sauber immerhin.
Die Wiederkehr der Nazizeit
Ist absolut nicht drin.
versicherte Wolf Biermann in Deutschland. Ein Wintermärchen in den sechziger Jahren. Mochte der Wechsel des Personals auch teilweise mit gewaltsamen Methoden durchgeführt worden sein, so hielt Biermann die Mittel durch das Ziel für gerechtfertigt.
So gründlich haben wir geschrubbt
Mit Stalins hartem Besen,
Dass rot verschrammt der Hintern ist,
Der vorher braun gewesen. 136
Die Sowjetisch Besetzte Zone und später die Deutsche Demokratische Republik schien vielen der bessere deutsche Staat. Namhafte und untadelige Künstler und Intellektuelle wie der Philosoph Ernst Bloch oder die Schriftsteller Arnold Zweig, Bertolt Brecht und Anna Seghers entschieden sich – zumindest anfangs – für das sozialistische Deutschland. Heinrich Mann ließ sich in Ost-Berlin zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste wählen, verstarb dann aber vor der Rückkehr aus Amerika. Die Entnazifizierung war umfassender als in den Westzonen. An herausgehobenen Positionen standen Genossen aus KPD und SPD, die in der Regel antifaschistischen Widerstand geleistet, im Zuchthaus und im KZ gesessen oder aus der Emigration heraus gegen Nazi-Deutschland agitiert hatten. Ministerpräsident Otto Grotewohl beispielsweise (vormals SPD) hatte einer Widerstandsgruppe in Berlin angehört, Staatspräsident Wilhelm Pieck (KPD) das Nationalkomitee Freies Deutschland in Moskau mitbegründet; unter den neun Mitgliedern des ersten Politbüros der SED besaß nur einer keine antifaschistische Vergangenheit.
Die DDR führte zu ihren Gunsten auch an, dass im Zuge der »antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung« die Produktionsmittel verstaatlicht, das »Junkerland in Bauernhand« überführt und damit, so die marxistische Theorie, der Faschismus »mit der Wurzel ausgerottet« worden sei. Im Unterschied zu Westdeutschland gab es kein
Weitere Kostenlose Bücher