Endlich
bereits vorhandenen Embryonen durchgeführt werden könnten, die ursprünglich für in-vitro-Befruchtungen geschaffen wurden. Diese Embryonen werden ohnedies nicht fortexistieren. Aber jetzt soll auch ihr Gebrauch durch Klagen religiöser Fanatiker gerichtlich verboten werden – obwohl er denjenigen, welche dieselben Fanatiker als die Mitmenschen des ungeformten Embryos betrachten, helfen würde! Die politischen Sponsoren dieses pseudowissenschaftlichen Unsinns sollten sich schämen, am Leben zu sein, vom Sterben zu schweigen. Und wenn jemand am sogenannten Krieg gegen den Krebs und andere entsetzliche Krankheiten teilnehmen möchte, sollte er sich dem Kampf gegen die tödliche Dummheit dieser Leute anschließen.
IV
Seit ich im Sommer 2010 mitten auf meiner Lesereise vom Krebs gefällt wurde, habe ich alle Chancen geliebt und ergriffen, wieder etwas von meinem Leben nachzuholen, und habe so viele Termine wahrgenommen, wie ich nur kann. Öffentliche Diskussionen und Vorträge gehören für mich zur Atemluft des Lebens, und ich nehme tiefe Züge, wann und wo immer es möglich ist. Ich freue mich auch aufrichtig, liebe Leser, über die Begegnungen mit Ihnen, egal, ob Sie nun eine Quittung für ein nagelneues Exemplar meiner Erinnerungen vorlegen können oder nicht. Aber nun will ich erzählen, was vor ein paar Wochen passiert ist. Bitte stellen Sie sich vor, wie ich an meinem Tisch sitze – und es nähert sich eine mütterlich ausschauende Frau (ein wichtiger Faktor meiner privaten demographischen Statistik):
SIE: Es hat mir so leidgetan, als ich gehört habe, dass Sie krank sind.
ICH: Haben Sie vielen Dank.
SIE: Ein Vetter von mir hat Krebs gehabt.
ICH: Oh, das tut mir wirklich leid .
SIE (während sich hinter ihr die Schlange der Kunden verlängert): Ja, in der Leber.
ICH: Das ist immer schlimm.
SIE: Aber dann ist es wieder weggegangen, nachdem die Ärzte gesagt hatten, es sei unheilbar.
ICH: Na, das ist es doch, was wir alle hören wollen.
SIE (während die Leute hinten in der Schlange nachgerade ungeduldig werden): Ja. Aber dann ist es wiedergekommen, viel schlimmer als vorher.
ICH: Ach, wie entsetzlich.
SIE: Und dann ist er gestorben. Es war qualvoll. Qualvoll . Schien ewig zu brauchen.
ICH beginne nach Worten zu suchen.
SIE: Natürlich war er sein Leben lang homosexuell.
ICH finde keine Worte und will auch nicht blöderweise das »natürlich« wiederholen.
SIE: Und seine ganze Verwandtschaft hat die Verbindung abgebrochen. Er ist buchstäblich alleine gestorben.
ICH: Also, ich weiß kaum, was ich …
SIE: Jedenfalls sollen Sie wissen: Ich verstehe genau , was Sie mitmachen.
Dies war eine mich in erstaunlichem Maße erschöpfende Begegnung, auf die ich gut hätte verzichten können. Sie brachte mich auf die Frage, ob es nicht einen Markt für ein kurzes Benimmhandbuch rund um den Krebs gäbe. Der Leitfaden wäre für die Patienten ebenso wie für die Mitfühlenden geschrieben. Ich habe über meine eigene Krankheit gewiss nicht geschwiegen. Aber ich laufe andererseits auch nicht mit einem großen Anstecker am Revers herum: FRAGEN SIE MICH NACH MEINEM METASTASIERTEN SPEISERÖHRENKREBS IM VIERTEN STADIUM UND NACH SONST NICHTS. Tatsächlich bin ich, wenn Sie mir nicht ausschließlich etwas über dieses Thema zu erzählen wissen und darüber, was passiert, wenn die Lymphknoten und die Lunge betroffen sein könnten, gar nicht besonders an Krebs interessiert und auch nicht besonders beschlagen. Man entwickelt fast eine Art elitären Gefühls, was die Singularität der eigenen Krankheit angeht. Wenn also Ihre persönlichen oder indirekten Erfahrungen andere Organe betreffen, dann überlegen Sie sich bitte, ob Sie mir das nicht bloß andeutungsweise oder jedenfalls sehr viel knapper erzählen können. Das gilt, ob die Geschichte nun höchst deprimierend und bedrückend ist (siehe oben) oder ob sie erhebend wirken und Optimismus verbreiten soll: »Bei meiner Großmutter wurde ein tödliches Klitorismelanom diagnostiziert, und man hatte sie eigentlich schon aufgegeben. Aber sie hat nicht kapituliert und hat sich Chemo und Bestrahlung gleichzeitig in hohen Dosen geben lassen, und kürzlich kam eine Postkarte von ihr vom Gipfel des Mount Everest.« Auch hier wirkt Ihre Geschichte vielleicht nicht besonders fesselnd, wenn Sie sich nicht vorher die Mühe gemacht haben, festzustellen, wie es ihrem Publikum geht.
*
Es besteht normalerweise der Konsens, dass die Frage: »Wie geht es denn so?« einen nicht
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