Endlich
in ein und demselben Satz benutzt, kann meiner Aufmerksamkeit sicher sein.«) Pausch hat an der Carnegie Mellon University gelehrt, aber er schlägt gerne den Tonfall an, den wir mit dem legendären Dale Carnegie verbinden: »Backsteinmauern haben ihren Grund … Sie stehen da, damit wir zeigen können, wie sehr wir etwas begehren.« Natürlich muss man Pauschs Buch nicht lesen, aber viele Studenten und Kollegen waren gezwungen, sich seinen Vortrag anzuhören, bei dem Pausch Liegestütze stemmte, Familienfilme zeigte, unterhaltende Grimassen schnitt und ganz allgemein alles tat, um sich zum Narren zu machen. Es sollte eigentlich strafbar sein, sich peinlich und borniert unter Umständen zu verhalten, welche die Zuschauer moralisch nahezu nötigen, Beifall zu spenden. Der Auftritt war auf seine Art ebenso aufdringlich wie die Tirade der gnadenlos mütterlichen Verfolgerin, die ich oben zitiert habe. In dem Maße, in dem die Bevölkerungszahlen von Tumorhausen und Gesundheim steigen und beide Gruppen »interagieren«, besteht ein zunehmender Bedarf an Grundregeln, die verhindern, dass wir einander unangenehm brüskieren.
V
I have seen the moment of my greatness flicker,
And I have seen the eternal Footman hold my coat, and snicker,
And in short, I was afraid.
Ich sah den Augenblick meiner Größe verblassen, veralten,
Ich hörte den ewigen Portier sardonisch husten beim Mantelhalten,
Und kurz gesagt, ich hatte Angst.
T. S. E LIOT , »The Love Song of J. Alfred Prufrock«
Wie bei so vielen unter den mannigfachen Erfahrungen des Lebens lässt auch bei der Diagnose eines bösartigen Tumors das Neuartige rasch nach. Die Sache ist nachgerade altbekannt, fast wird sie banal. Man kann sich an das Phantom des ewigen Portiers gut gewöhnen – wie an einen tödlichen alten Langweiler, der gegen Ende des Abends im Vestibül lauert und auf die Gelegenheit hofft, uns rasch etwas zu sagen. Und ich habe nicht so sehr etwas dagegen, dass er mir mit theatralischer Geste den Mantel hinhält, wie um mich stumm daran zu erinnern, dass es Zeit für mich ist, mich auf den Weg zu machen. Nein, das Schmunzeln ist es, was mich fertigmacht.
In viel zu regelmäßiger Weise serviert mir die Krankheit ein neckisches Tagessonderangebot oder Menü der Woche. Dabei mag es sich um irgendwelche offenen Stellen und Geschwüre handeln, auf der Zunge oder in der Mundhöhle. Oder warum nicht ein wenig periphere Neuropathie, was taub-kalte Füße bedeutet? Die alltägliche Existenz bekommt etwas Säuglingshaftes, zugemessen nicht in Prufrocks Kaffeelöffeln, sondern in winzigen Dosen Nahrung, begleitet von ermunternden Geräuschen der Zuschauer oder feierlichen Unterhaltungen über das Funktionieren des Verdauungstraktes mit unbekannten mütterlichen Damen. An weniger guten Tagen komme ich mir vor wie das Ferkel mit dem Holzbein, das einer sadistisch-sentimentalen Familie gehörte, die es nicht übers Herz brachte, mehr als ein Stückchen von ihm auf einmal zu essen. Nur, dass der Krebs nicht derart … rücksichtsvoll ist.
Am niederschmetterndsten und erschreckendsten von allem war bis jetzt der Augenblick, da meine Stimme sich plötzlich zu einem kindischen (vielleicht ferkelgleichen) Quieken hob. Dann suchte sie sich ihr momentanes Register überall, von einem rauen, groben Flüstern bis zu einem papiernen, klagenden Blöken. Und manchmal drohte sie – und droht nun täglich – ganz zu verschwinden. Ich war gerade von ein paar Vorträgen in Kalifornien zurückgekehrt, wo ich mit Hilfe von Morphium und Adrenalin immer noch erfolgreich herausbrachte, was ich zu sagen hatte, und ich wollte vor meinem Haus ein Taxi rufen – doch nichts geschah. Ich stand erstarrt da, wie ein Hahn, der mit einem Mal nicht mehr zu krähen vermag. Früher konnte ich ein New Yorker Taxi auf dreißig Schritt stoppen. Ich konnte auch bei einem Podiumsgespräch ohne Mikrophon die hinterste Reihe und die Empore einer überfüllten Vortragshalle erreichen. Und es mag vielleicht nichts sein, worauf man besonders stolz sein sollte, aber die Leute erzählen mir, wenn ihr Radio oder ihr Fernseher lief, und sei es im Nebenzimmer, dann konnten sie immer meine Intonation heraushören und wussten, ich war gerade dran.
Wie bei der Gesundheit selbst kann man sich den Verlust einer solchen Fähigkeit nicht vorstellen, ehe er eintritt. Wie alle Welt habe ich schon verschiedene Varianten des vor allem bei Jugendlichen beliebten »Was wäre dir lieber?«-Spiels durchgenommen, bei
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