Endlich
rühmten, die einzigen Tiere, die der Sprache mächtig sind. Aber wir sind die einzigen, die stimmliche Kommunikation zum Zweck reinen Vergnügens und reinen Spiels verwenden und mit unseren beiden anderen stolzen Ansprüchen, Vernunft und Humor, zu höherer Synthese gebrauchen können. Wenn man diese Fähigkeit verliert, ist man einer ganzen langen Reihe von Möglichkeiten beraubt. Es bedeutet gewiss einen gar nicht so kleinen Tod.
Mein hauptsächlicher Trost in diesem Jahr des sterbenden Lebens war die Gegenwart meiner Freunde. Ich kann nicht mehr zum Vergnügen essen oder trinken; wenn sie sich also erbötig machen, mich besuchen zu kommen, dann nur wegen der wundervollen Möglichkeit, zu reden. Manche dieser Genossen können leicht einen großen Saal mit zahlenden Zuhörern füllen. Es sind Redner, mit denen einigermaßen Schritt zu halten bereits ein Privileg ist. Jetzt kann ich ihnen wenigstens umsonst zuhören. Können sie denn kommen und mich besuchen? Nun ja, nur in gewisser Weise. So gehe ich nun jeden Tag in ein Wartezimmer, schaue mir die furchtbaren Nachrichten aus Japan im Kabelfernsehen an (der gesprochene Text wird oft parallel als Schrift eingeblendet, wie um mich zu plagen) und warte ungeduldig darauf, dass eine hohe Dosis Protonen mit Zweidrittellichtgeschwindigkeit in meinen Körper geschossen wird. Worauf hoffe ich? Wenn nicht auf eine Heilung, dann auf eine Verlangsamung. Und was möchte ich zurückhaben? Mit der schönsten Zusammenfügung zweier der einfachsten Wörter der Sprache: Redefreiheit.
VI
Death has this much to be said for it:
You don’t have to get out of bed for it.
Wherever you happen to be
They bring it to you – free.
Als guten Zug des Todes kann man immerhin sehn:
Man braucht dazu nicht eigens aufzustehn.
Wo du auch grade liegst und wohnst,
Man bringt ihn dir – o ja: umsonst.
K INGSLEY A MIS
Pointed threats, they bluff with scorn
Suicide remarks are torn
From the fool’s gold mouthpiece the hollow horn
Plays wasted words, proves to warn
That he not busy being born is busy dying.
Verachtung droht und prahlt und flieht
Der Rhythmus stampft: He Suizid
Aus Flittersaxophonen zieht
Das Lied, das warnt, das alte Lied:
Wer nicht zur Welt kommt, ist am Sterben.
B OB D YLAN , »It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)«
Als es soweit war und der alte Kingsley Amis einen ihn entmutigenden, verstörenden Sturz erleben musste, blieb er im Bett und drehte schließlich das Gesicht zur Wand. Er lag nicht ausschließlich da und wartete auf den Zimmerservice im Krankenhaus (»Töte mich, du blöder Scheißkerl du!« schrie er einmal seinen Sohn Philip an), aber im Wesentlichen wartete er passiv auf das Ende. Das trat dann auch ein, ohne viel Geräusch, gratis.
Robert Zimmerman aus Hibbing, Minnesota, hat mindestens eine sehr nahe Begegnung mit dem Tod erlebt, diverse Updates und Korrekturen seiner Beziehung zum Allmächtigen und den vier letzten Dingen, und er scheint entschlossen, weiterhin zu demonstrieren, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, den Beweis des eigenen Weiterlebens anzutreten. Schließlich und endlich, wenn man die Alternativen bedenkt …
Ehe mir vor einem halben Jahr die Diagnose gestellt wurde, dass ich Speiseröhrenkrebs habe, teilte ich den Lesern meiner Memoiren recht kess mit, ich wolle angesichts des Lebensendes, der Auslöschung, ganz und gar bei Bewusstsein bleiben, hellwach, um den Tod im aktiven Sinne »zu erleben«, nicht im passiven. Und ich versuche immer noch, diese kleine Flamme der Neugier und des Widerstands zu nähren – willens, dem Lebensfaden bis ans Ende zu folgen, wünschend, es möge mir nichts erspart bleiben, was zur ganzen Spanne eines Menschenlebens gehört. Doch gehört zu den Auswirkungen einer schweren Krankheit der Umstand, dass man vertraute Prinzipien und scheinbar verlässliche Lebensregeln zu überdenken beginnt. Und es gibt insbesondere einen Satz, den ich nicht mehr mit ganz derselben Überzeugung wie einst ausspreche. Ich habe aufgehört, zu verkünden: Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker.
Tatsächlich frage ich mich, weshalb ich diesen Satz je für bedeutend hielt. Man schreibt ihn gewöhnlich Nietzsche zu, der in der Tat einmal über den »wohlgeratenen Menschen« schrieb: Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker . Auf Deutsch liest sich das und klingt eher wie eine Gedichtzeile, weshalb es mir auch möglich erscheint, dass Nietzsche es sich von Goethe geborgt hat. Aber ist diese
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